Der Streit um den Ablass wird zum Streit um Luther. In Rom wird ein Ketzerprozess eingeleitet, Luther die Exkommunikation erst angedroht und dann ausgesprochen. In diesen Monaten verteidigt sich der werdende Reformator auf Disputationen und in verschiedenen Schriften. Unermüdlich studiert Luther die Bibel, führt Gespräche mit seinen Kollegen in Wittenberg, tauscht sich mit Kollegen in Briefen aus.

Im Hintergrund beschäftigt ihn seine Frage nach dem gnädigen Gott. Zunächst fürchtet er den strafenden, strengen Richter. Deshalb war er schließlich ins Kloster eingetreten, ohne dass sich am Gefühl seiner Verlorenheit etwas änderte. Lange versteht er die „Gerechtigkeit Gottes“ als Gottes Forderung, dann erkennt er mitten im Streit um den Ablass, dass Gott Gerechtigkeit schenkt. Luther fühlt sich wie neu geboren! Schreibt sich sein Familienname bis dahin „Luder“, so nennt er sich nun „Luther“ (nach grch. eleutherios – der Befreite).

In dieser Zeit lernt Luther sich zu behaupten, seine neue Gottesbeziehung gibt ihm Halt und Hoffnung, deshalb kann er als Publizist bestehen. Aber er hat auch eine verletzliche und sensible Seite, die sich oft in einer „depressiven Stimmung“ äußert.

Mit seiner Sprachgewalt wird Luthers Polemik berühmt, aber auch berüchtigt. Seine sprachliche Grobheit passt nicht zu einem Akademiker. Luther findet zur neuen Rolle als Prophet, der das Evangelium neu verkündet.

Unterm Strich

Luthers Entdeckung des gnädigen Gottes führt zur Umwälzung von Kirche und Gesellschaft. Vor allem führt sie bei Luther zu einer neuen Identität als von Gott geliebten Menschen. Alle Ängste vor Gott verschwinden und er fühlt sich sicher und geborgen. Wie ein deutscher Prophet verkündet er gegen alle Widerstände die Rechtfertigung allein aus Gnaden. Er sieht sich als von Gott berufener und gesandter Mensch, der mit Teufel und Antichrist einen Krieg führt. Als wirkendes Individuum erscheint uns Luther ausgesprochen modern, denn er sucht nicht mehr den Schulterschluss mit der Gemeinschaft und der Tradition, sondern stellt sein Gewissen und sein Verständnis der Bibel dagegen. Er inszeniert sich und weiß sich in Szene zu setzen.