Karl Barth – Aufstehen gegen den Zeitgeist

Einleitung

Als gewöhnlicher Landpfarrer in der Schweiz ist Barth (1886-1968) gegenüber den politischen und theologischen Brüchen in Deutschland entsetzt. Die Haltung seiner ehemaligen theologischen Lehrer gegenüber des Ersten Weltkrieges  erschüttern das Vertrauen zu ihrer Theologie. Und so beginnt er während des Weltkrieges, gegen den Zeitgeist theologisch aufzustehen.

Als die Nationalsozialisten in Deutschland immer mehr an Einfluss gewinnen, stellt er sich als evangelischer Christ gegen alle Vereinnahmungsversuche der NS-Bewegung (Arierparagraph, deutscher Gruß, Amtseid auf Hitler) und tritt immer wieder gegen den Zeitgeist auf. 

Hintergrund

Krise einer Weltanschauung

Philosophie und Theologie des 19. Jh. werden stark vom Geist des Fortschritts geprägt. Überall wird Neues entdeckt, kommt man der Natur auf die Spur und macht sie für den Menschen nutzbar. Mediziner entdecken Krankheitserreger, Chemiker entwickeln Kunstdünger, Tüfftler erfinden die Eisenbahn. Die Eisenbahn revolutioniert das Transportwesen und den Personenverkehr. Durch das Telefon kann man mit Menschen überall sprechen. Die Erfindung des elektrischen Lichtes macht die Nacht zum Tage.

Alles wird immer besser und schöner. Philosophen wie Hegel erschaffen die passende Weltanschauung des Fortschritts, in dem sich „der Weltgeist“ entfaltet und am Ende im menschlichen Bewusstsein zu sich selber findet.

Hieran versuchen Theologen anzuknüpfen, die andere als Liberale bezeichneten. Gemeint ist eine Gruppe religiöser Denker, die die Theologie sprachfähig machen und relevant ins Gespräch bringen wollen. Für sie ist Hegels Weltgeist der christliche Gott, der den Fortschritt ermöglicht und sich der Wissenschaftler bedient.

Viele Fromme sehen das Ende der Zeiten gekommen und in allem Gottes Geist am Werk. Der menschliche Forschungsdrang zeige die Erfüllung alter Prophezeiungen, die Fortschritte der Wissenschaft werden als Einfluss des Geistes Gottes verstanden: Am Ende der Tage griffe Gottes Geist ein und verändere alles zum Besseren. Endzeitstimmung macht sich breit, das Paradies auf Erden scheint anzubrechen. 

Viele finden ihre Kompromisse mit der traditionellen Religion, die scheinbar die private Moral bestimmt und das öffentliche Leben verschönert. Vielen Intellektuellen scheint allerdings die Philosophie die Religionen abzulösen. 

Jubel bei Kriegsbeginn 1914

Mitten in dieser Fortschrittseuphorie bricht 1914 der 1. Weltkrieg aus. Zu Beginn sind alle Menschen auch in Deutschland wie im Taumel. Begeistert ziehen Männer in allen europäischen Staaten in den Krieg. Auch in Deutschland ist man von der guten Sache überzeugt. 93 deutsche Intellektuelle weJubel nden sich „An die Kulturwelt“ und verwahren sich gegen Vorwürfe, Deutschland habe den Krieg verschuldet, die belgische Neutralität ohne Not verletzt und das Völkerrecht missachtet. Unter den Unterzeichnern finden sich auch namhaften Theologieprofessoren der Zeit. Im Ausland stößt diese Erklärung auf Irritation.

Das Volk steht zusammen, selbst die Sozialdemokraten, die man wenige Jahre zuvor noch als vaterlandslose Gesellen bezeichnet hat, stimmen in den Jubel ein und für Kriegskredite

Die allgemeine Kriegsbegeisterung bringt den evangelischen Publizisten Martin Rade in Marburg zu der Behauptung, in aller geordneten Mobilisierung der deutschen Truppen sei Gott selbst am Werk. Der Kaiser spricht vom großen Verbündeten da oben. 

Mit dem 1. Weltkrieg kommen die schrecklichen Seiten des Fortschritts an den Tag: Giftgaseinsatz, Materialschlachten und Grabengemetzel zeigen den modernen Menschen als Bestie. Sieht so Fortschritt aus? Passen menschliches Werk und Gottes Handeln zusammen? 

Erster Weltkrieg: Der Krieg der neuen Zeit
Der Krieg – mörderische Wirklichkeit

Viele wache Zeitgenossen kommen in eine furchtbare Krise. Einerseits wollten die Menschen das Paradies auf Erden schaffen, menschlicher und göttlicher Geist scheinen zusammenzuwirken.

Der Krieg zeigt aber andererseits die furchtbare Wahrheit über Menschen, die sich nur an sich selbst orientieren und nicht am Schöpfer oder am Gott der Liebe. 

Der Fortschrittsgeist wird durch die Erfahrungen des 1. Weltkriegs massiv in Frage gestellt. Am Ende macht sich Pessimismus breit.

Akteur: Karl Barth (1886-1968)

Als der 1. Weltkrieg beginnt, arbeitet Karl Barth als Pfarrer in der Schweiz. 1886 als Sohn eines Theologieprofessors in Basel geboren, wächst er in Bern auf, wo er sein Theologiestudium beginnt. Dann studiert er in Berlin, Tübingen und Marburg weiter, dort wird er theologisch geprägt. Anschließend kehrt er in die Schweiz zurück und ist seit 1911 Landpfarrer im Industriedorf Safenwil. 

Als Pfarrer beschäftigen ihn damals Themen wie das Reich Gottes und das Wort Gottes. Aber auch das Thema Sozialismus kommt in seiner Antrittspredigt vor: Im Reich Gottes ginge es Barths Ansicht nach auch um soziale Gerechtigkeit. Die Not der Industriearbeiter seiner Gemeinde ist ausgelöst durch schlechte Bezahlung und häufige Arbeitslosigkeit. Dieser Not will sich Barth nicht entziehen und so erscheint er als ausgesprochen politischer Pfarrer. 1915 tritt er sogar in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz ein, damals für einen Pfarrer noch völlig ungewöhnlich. 

Im Kampf der Arbeiter für ihre Rechte sieht er Gott am Werk. Die sozialrevolutionäre Bewegung sieht er als Zeichen für das anbrechende Reich Gottes. Jesus sei selbst Arbeiter gewesen und habe sich den Armen zugewandt. 

Radikal fordert Barth die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Bald wird er sich von dieser Sichtweise distanzieren. Den Anlass dazu bietet der Beginn des 1. Weltkrieges.

Karl Barth, Pfarrer in Safenwil 

Als Barth die Namen seiner deutschen akademischen Lehrer im oben genannten Manifest der Intellektuellen zum Kriegsausbruch findet, ist er darüber irritiert: Sie alle sehen den Fortschritt und Gott am Werk, als der furchtbare Krieg ausbricht. Das treibt Barth in eine Krise.  

Unter denen, die es unterschrieben hatten, musste ich mit Entsetzen auch die Namen ungefähr aller meiner deutschen Lehrer (mit ehrenvoller Ausnahme Martin Rades!) entdecken. Eine ganze Welt von theologischer Exegese, Ethik, Dogmatik und Predigt, die ich bis dahin für grundsätzlich glaubwürdig gehalten hatte, kam damit und mit dem, was man damls von den deutschen Theologen sonst zu lesen bekam, bis auf die Grundlagen ins Schwanken.“

Barth zitiert nach Tietz 2019: 89

Was hat Barth so aufgewühlt? Seine einstigen Lehrer jubeln mit dem Zeitgeist! Sie machen den Politikern sogar ein gutes Gewissen. Seinen väterlichen Freund Martin Rade fragt er, ob er nicht besser Gott aus dem Spiel lassen möge, wenn dieser die Ordnung der Mobilmachung als Zeichen für Gottes Hilfe erachte. 

Rade sieht es dagegen als unmöglich an, „Gott aus dem Spiel“ zu lassen. „Für eine so überwältigende Sache gibt es nur Einen möglichen Grund und Urheber: Gott“ (ebd. S. 91).

Bald distanziert sich Barth von seinen theologischen Lehrern in Deutschland. Ihre Haltung konnte er nicht akzeptieren, so entfernt er sich mehr und mehr von ihren Positionen. 

In mir ist etwas von der Hochachtung deutschem Wissen gegenüber für immer zerbrochen, das weiß ich…, weil ich sehe, wie eure Philosophie und euer Christentum nun bis auf wenige Trümmer untergeht in dieser Kriegspsychose.

Barth zitiert nach Tietz 2019: 91

So sucht er Schweizer nach einer eigenen Position. Dabei wird ihm klar, dass es nur von Gott her Neues geben kann. Alles Menschliche reicht an Gott nicht heran. Während in Deutschland das Erleben im Krieg als etwas Göttliches gedeutet wird, zeigt es in Wahrheit, dass die Welt entgöttert wird. Gott und Welt treten für Barth auseinander. 

Auch der Kampf für soziale Gerechtigkeit, der zuvor für ihn wichtig ist, führt das Reich Gottes nicht herbei. Denn Gott und Mensch sind auseinandergetreten. 

Mit Freunden bewegt er seitdem in Briefen und persönlichen Gesprächen die Frage, wie man das Verhältnis von Gott und Welt bestimmen muss. Gott müsse der Ausgangspunkt allen theologischen Denkens sein. Wie soll es weitergehen? 

Seit 1916 sucht er nach neuen Ansätzen der Exegese und der Theologie. Wie einst Luther setzt er beim Römerbrief an. Er will ihn ganz neu lesen, als ob er ihn noch nie gelesen hätte. Er schreibt seine Notizen auf. So entsteht bis Mitte 1918 ein Kommentar zum Römerbrief. 1918 ist das 400. Jubiläum der Reformation. Wahrlich ein Epochenjahr! Dieser Kommentar macht Karl Barth berühmt und verändert auch sein Leben!

Nach 1919 gehört er zu einer neuen Theologengeneration, die rasch bekannt und berühmt wird. 1921 wird er (ohne theologische Promotion) an die Universität Göttingen berufen, 1925 nach Münster und 1930 nach Bonn. Als Gegner des Nationalsozialismus verliert er 1935 seinen Lehrstuhl und geht nach Basel.

Vision

In seinem Kommentar benutzt Barth plakative Formulierungen, die an die Malerei des Expressionismus erinnern, an Bilder von Max Beckmann und Otto Dix. Barth will provozieren und aufrütteln.

Wie alle Exegeten setzt Barth voraus, dass Paulus zuerst zu seinen Zeitgenossen geredet habe. 

Aber viel wichtiger als diese Wahrheit ist die andere, dass er als Prophet und Apostel des Gottesreiches zu allen Menschen aller Zeiten redet. Die Unterschiede von einst und jetzt, dort und hier, wollen beachtet sein. Aber der Zweck der Beachtung kann nur die Erkenntnis sein, dass diese Unterschiede im Wesen der Dinge keine Bedeutung haben… Aber meine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, durch das Historische hindurch zu sehen, in den Geist der Bibel, der der ewige Geist ist.

Barth zitiert nach Tietz 2019:103

Barth meint, dass er den historischen Graben zwischen der Zeit des Paulus und der Gegenwart überspringen kann. Denn nach seiner Überzeugung hat Paulus eine Botschaft von Gott auszurichten, die heute gehört werden muss. Diese Botschaft ist auf Teilnahme, Mitarbeit und Verständlichkeit ausgerichtet. Dabei trennt Barth Handeln Gottes und Handeln des Menschen, denn Gottes Reich kommt allein durch Gott. Barth beschreibt Gott als den Unbegreiflichen, den ganz Anderen. 

Gott! Wir wissen nicht, was wir damit sagen. Wer glaubt, der weiß, dass wir es nicht wissen. […] Der Kern in diesem Nebel ist der Wahn, als könne auch ohne das Wunder (senkrecht von oben), ohne die Aufhebung alles Gegebenen, abgesehen von der Wahrheit, die jenseits von Geburt und Tod liegt, eine Einheit oder auch nur eine Bündnisfähigkeit zwischen Gott und Mensch bestehen. Das religiöse Erlebnis […] ist in seiner Geschichtlichkeit, Dinglichkeit und Konkretheit immer ein Verrat an Gott.

Barth: Der Römerbrief. Zit. nach Philipp: Protestantismus S. 381. 383

In Anlehnung an Kierkegaard betont er den „unendlichen qualitativen Unterschied“ zwischen uns Menschen und Gott! In reformierter Tradition weist er auf die Transzendenz Gottes hin, auf seine Jenseitigkeit. Das Endliche sei nicht aufnahmefähig für das Unendliche! Deshalb müssen Gott und Welt unterschieden werden. Denn Gott sei der ganz andere. Menschliches und Göttliches sei grundsätzlich zu trennen. Mit erwecklichen Formulierungen, dass Gott durch seinen Geist zu uns redet, dass man sich von Gott getröstet fühle oder dass man seine Gegenwart spüre, kann er in dieser Lebensphase nichts mehr anfangen. Pietisten, Mystiker oder Charismatiker überschreiten seiner Ansicht nach eine Grenze.

Dann steht die Überarbeitung des Kommentars zum Römerbriefes an. Weiter setzt er bei Gott an, Gott wolle der ewige Herr der Welt sein. Das Reich Gottes versteht er nun als etwas radikal Neues, das dieser Welt ein Nein zuspricht. Um seine Gedanken zu verdeutlichen, zieht er den Begriff Auferstehung heran. Auferstehung kann er nur als absolutes Wunder begreifen. Die Welt kenne nur den Kreislauf der Jahreszeiten, auf den Winter folge der Frühling. Aber die Auferstehung könne die Welt nicht hervorbringen, denn sie sei reine Gnade, die nur Gott schenken könne. Auferstehung sei in dieser Welt nicht fassbar.

In der Auferstehung berührt die neue Welt des Heiligen Geistes die alte Welt des Fleisches. Aber sie berührt sie wie die Tangente einen Kreis, ohne sie zu berühren, und gerade indem sie sie nicht berührt, berührt sie sie als ihre Begrenzung, als neue Welt.

Barth zitiert nach Tietz 2019:142

So wird Barth nicht müde, den Unterschied zwischen Gott und Welt immer neu zu formulieren und sich dem Zeitgeist entgegen zu stellen.

Handlungsmuster

1919 legt Barth seinen Kommentar zum Römerbrief vor, der ihn bekannt macht, 1922 überarbeitet er ihn grundlegend. 

In der Krisenstimmung nach dem Weltkrieg ringt Barth mit Kollegen und Gegnern um eine neue Position. Die Verflechtung von Gottes Handeln und menschlichem Fortschritt hat er den Kampf angesagt und in seinem Kommentar zum Römerbrief etwas Neues geschaffen.

Mit dieser Trennung von Gott und Welt können viele andere nichts anfangen, das betonen besonders lutherische Theologen wie Paul Althaus, für die Gott der Herr der Geschichte ist. Reformierte Theologen wie Adolf Schlatter kritisieren an Barth, dass der Gottesgedanke entleert werde. Glaube sei kein Sprung ins Leere, vielmehr habe sich Paulus Jesus angeschlossen.

Mit seiner Berufung zum Professor für reformierte Theologie in Göttingen beginnt 1921 eine umfangreiche Schaffenszeit Der Sprung als Schweizer Landpfarrer an eine deutsche Universität fordert ihn enorm heraus. In der Übergangs- und Anfangszeit ist er sehr unsicher, ob er den akademischen Herausforderungen gewachsen ist. Von Vorlesungsstunde zu Vorlesungsstunde arbeitet er sich voran.

Als reformierter Professor an einer lutherischen Fakultät nimmt er von Anfang an eine Sonderstellung ein. Immerhin kommen zu seiner ersten Vorlesung 50 bis 60 Studenten, von denen sich nur zehn zur reformierten Kirche zählen. Das spricht für einen gewissen Bekanntheitsgrad unter den Göttinger Studenten. Sein „Erfolg“ bei den Studenten ruft bei den lutherischen Kollegen kritische Reaktionen hervor. So wird er bald als Professor nicht mehr im Vorlesungs- und Personenverzeichnis aufgelistet. Seine Stellung ist und bleibt schwierig.

Deshalb nimmt er 1925 eine Berufung nach Münster an, zum Sommersemester 1930 wechselt er schließlich nach Bonn.

Seit Anfang der 1930er Jahre erscheint seine „Kirchliche Dogmatik“ (1932-1967, unvollendet), eine brillant geschriebene, sehr umfangreiche Darlegung des christlichen Glaubens in reformierter Tradition, Dogmatik und Ethik werden hier verbunden. 

Dann zeichnet sich der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland ab. Das nationalsozialistische Gedankengut breitet sich auch in den Kirchen aus. Die 1932 entstandene „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ sehen in der germanischen Rasse eine Offenbarungsquelle und strebt einen artgemäßen Christusglauben an. In der neuen Regierung sehen die Anhänger ein Zeichen Gottes, der Führer erhält eine religiöse Stellung („Heil Hitler“). 

Glühender Nazi: Ludwig Müller (Mitte), späterer Reichsbischof, bei der Eröffnung der Nationalsynode in Wittenberg. Foto: wikimedia/Bundesarchiv
Deutsche Christen

Wie die Nationalsozialisten wenden sich die „Deutschen Christen“ gegen „die Juden“, zu christlichen Grundüberzeugungen stehen sie eigentlich in einem unüberbrückbaren Gegensatz. Ihre Vernichtungsrhetorik kann – aus heutiger Sicht – überhaupt nicht mit dem Evangelium von Gottes Liebe zu allen Menschen in einen Zusammenhang gebracht werden.

Die Nazis treten nicht nur für ihre verbrecherische Rassenlehre ein, sondern lehnen auch die Demokratie als „jüdischen Schwindel“ ab. Sie fordern einen starken Staat, ihren Parteivorsitzenden bezeichnen sie als „Führer“. Zeitgleich mit den Wahlsiegen der NSDAP fordern die Deutschen Christen eine neue Organisation der Landeskirchen. Seit 1919 sind sie in einem Kirchenbund locker verbunden, nun sollen die Kirchen unter der Leitung eines Reichsbischofs zusammengeführt werden.

Im Januar 1933 überträgt der Reichspräsident Hitler als Vertreter der größten Partei im Reichstag die Regierung. Im März kommt es noch einmal zu halbwegs freien Wahlen, in der die NSDAP zur stärksten Kraft wird, aber keine absolute Mehrheit bekommt. So kann Hitler nur in einer Koalition die Regierung übernehmen.

Mit der Regierungsübernahme setzt setzt die Gleichschaltungs-Politik ein, alle gesellschaftlich relevanten Gruppen werden in NS-Organisationen zusammengeführt. Beamten müssen einen Eid auf Hitler ablegen oder den Staatsdienst verlassen. Im Staatsdienst dürfen nur „Arier“ arbeiten, Juden werden systematisch entlassen.

Nahezu alle kirchlichen Blättchen und Zeitschriften der Zeit, ob von Landeskirchlern, Gemeinschaftsbewegung, Baptisten, frei-evangelischen Gemeinden, Brüdergemeinden begrüßen die Regierung Hitler. Nur ganz wenige (darunter Bonhoeffer und Barth) stellen grundsätzliche Anfragen.

Als Hitler die Herrschaft in Deutschland übertragen wird, schweigt Barth scheinbar. Doch seit 1933 gibt er mit Freunden die Schriftenreihe „Theologische Existenz heute“ heraus. Darin führt er u.a. aus, es sei Aufgabe der theologischen Lehrer und Pfarrer, „Theologie und nur Theologie zu treiben“ (Barth 1933: 3). 

Vehement verneint er die Vorstellung, man könne Gott in aktuellen Zeitereignissen suchen und nicht nur in seinem Wort. Den Deutschen Christen wirft er vor, dass sie den Zweck der Kirche dem deutschen Volk unterordnen. Die Kirche stehe nicht unter dem Staat, sie müsse das Evangelium unter jeder Staatsform verkündigen.

Die Gemeinschaft der zur Kirche Gehörigen wird nicht durch durch das Blut und also auch nicht durch die Rasse, sondern durch den heiligen Geist und durch die Taufe bestimmt. Wenn die deutsche evangelische Kirche die Judenchristen ausschließen oder als Christen zweiter Klasse behandeln würde, würde sie aufgehört haben, christliche Kirche zu sein“ (Barth 1933: Theologische Existenz heute. Zitiert nach Tietz 2019: 225)

Deutlicher kann man damals nicht gegen die aktuelle Politik und den Zeitgeist protestieren. Eine Übernahme des „Arierparagraphen“ in der Kirche scheint Barth unmöglich. Im Juli 1933 sendet er den Text seines Widerspruchs sogar an Hitler.

Evangelische Theologie muss auch im neuen Deutschland unerbittlich und unbekümmert ihren eigenen Weg gehen. Ich bitte Sie um Verständnis für diese Notwendigkeit. (zitiert nach Tietz 2019: 226)

Über eine Reaktion Hitlers schweigen die Quellen. Wieder tritt Barth gegen den Zeitgeist auf.

Im Juli 1933 finden dann in den Landeskirchen Kirchenwahlen statt, in denen die Deutschen Christen die absolute Mehrheit erreichen. Die nationale Euphorie für die Regierung Hitler scheint ungebrochen. Es verwundert daher nicht, dass Barth von Deutschen Christen öffentlich angegriffen wird, als Schweizer, Demokrat und Mitglied der Sozialdemokratie.

Im Juli 1933 werden alle Beamten angewiesen, im Rahmen ihres Dienstes mit „Heil Hitler“ zu grüßen. Entsprechend sollen die Professoren ihre Vorlesungen mit „Heil Hitler“ eröffnen. Barth kommt dieser Anweisung nicht nach. Als Theologe stehe er unter einem überlegenen Totalitätsanspruch gegenüber dem GesetzGottes, neben dem er sich nicht dem Totalitätsanspruch des Staates unterordnen könne. So tritt Barth auch hier gegen den Zeitgeist auf.

In den nächsten Monaten wächst eine kirchliche Opposition heran, die zur Einberufung einer Synode aus ganz Deutschland führt.

Im Mai 1934 treffen sich in Barmen 192 Theologen und Nichttheologen aus 18 Landeskirchen und geben eine Theologische Erklärung heraus. Vorbereitet hat sie Karl Barth mit dem Lutheraner Hans Asmussen in einem Frankfurter Hotel. 

Ende Mai wird der Text der Barmer Theologischen Erklärung nach Beratung und Überarbeitung angenommen. These 1 lautet:

„Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ – Joh 14,6

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und Räuber. Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden.“ – Joh 10,1.9

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Barmer Theologische Erklärung, These 1

Diese These widerspricht dem Zeitgeist jener Tage und erklärt den theologischen Widerstand gegen die Theologie der Deutschen Christen und ihr Anknüpfen an die Weltanschauung der Nationalsozialisten.

Bereits vor der Veröffentlichung der Erklärung ist ein Disziplinarverfahren gegen Barth vorbereitet worden, da Barth den Amtseid auf Hitler verweigert hat. Gegenüber dem Rektor der Universität, vor dem er den Eid leisten soll, macht Barth klar, er könne den Eid als evangelischer Christ nur leisten mit einer Einschränkung, dass er an Gottes Gebote gebunden sei. 

Barths Haltung ist unter anderen Weggefährten in der Bekennenden Kirche umstritten. Barth hat die Verweigerung des Eides aber mit Hinweis auf das totalitäre System verteidigt. Nur wenn die Kirche klarstelle, dass der Eid durch das Gebot Gottes begrenzt sei, könne er auf seinen Zusatz verzichten. Die nationalsozialistischen Juristen legen jedoch dar, dass die Treue zum Führer durch kein Gebot eingeschränkt werden könne. Nur der Führer sei Gott gegenüber verantwortlich, alle anderen seien dem Führer Gehorsam schuldig. 

Daher wird Barth 1935 in den Ruhestand versetzt, seine Bezüge enden und er verlässt Deutschland. Von 1935 bis zu seiner Pensionierung 1961 lehrt er als Professor in Basel, nimmt aber von dort aus Anteil an den Entwicklungen.

Während des Münchner Abkommens 1938 ruft er die Tschechen (vergeblich) zum militärischen Widerstand gegen die deutsche Besetzung auf. Briten und Franzosen geben den deutschen Forderungen nach. Barth meinte, man müsse dem deutschen Expansionsdrang Einhalt gebieten. In einer amerikanischen Zeitung schreibt er vor dem Kriegsausbruch:

Ich hoffe, dass wir nicht zu spät und nicht zu schmerzlich aus dem Schlaf erwachen müssen, dem sich mit vielen anderen auch die christlichen Kreise in den europäischen Ländern immer noch hingeben zu dürfen meinen… Hitler wird gewiss irgendeinmal – vielleicht schon bald – nicht mehr da sein, und dann wird auch meine Stellung und Funktion den gewissen grellen Widerspruchs- und Widerstandscharakter, den sie heute haben muss, nicht mehr oder jedenfalls so wie heute, nicht mehr haben müssen.“  

Zit. Nach Barth 1948: Parergon. In: Ev. Theol. 1948, 274f.

Karl Barth versteht sich nicht als Pazifist. Mit 54 Jahren meldet er sich freiwillig in der Schweiz als Soldat und lässt sich militärisch ausbilden! 

Nach dem Krieg setzt er sich für Versöhnungsarbeit mit Deutschland und den Deutschen ein. In einer Predigt sagt er:

Her zu mir, ihr Unsympathischen, ihr bösen Hitlerbuben und -mädchen, ihr brutalen SS-Soldaten, ihr üblen Gestaposchurken, ihr traurigen Kompromissler und Kollaborationisten, ihr Herdenmenschen alle, die ihr nun so lange geduldig und dumm hinter eurem sognannten Führer hergelaufen seid! Her zu mir, ihr Schuldigen und Mitschuldigen, denen nun widerfährt und widerfahren muss, was eure Taten wert sind! Her zu mir, ich kenne euch wohl; ich frage aber nicht, wer ihr seid und was ihr getan habt; ich sehe nur, dass ihr am Ende seid und wohl oder übel von vorne anfangen müsst; ich will euch erquicken, gerade mit euch will ich jetzt vom Nullpunkt her neu anfangen!“

Barth zitiert nach Busch 1975: 337

Wirkung

Karl Barth gilt als einflussreichster Theologe des 20. Jahrhundert, manche nennen ihn sogar den „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“. Berechtigt sind diese Stimmen schon wegen der Neuausrichtung der Theologie nach dem 1. Weltkrieg. Die dialektische Theologie führt eine Neuausrichtung herbei, er hat der Theologie ihr Thema widergegeben. 

Gegenüber dem Nationalsozialismus ist er aufgetreten und hat ihm mit der Barmer Theologischen Erklärung ein Bekenntnis entgegen gesetzt, das der deutschen Kirche in den Jahren der Gewaltherrschaft half.

Das letzte Wort, das ich als Theologe und als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie ‚Gnade‘, sondern ist ein Name: Jesus Christus.“

Persönlich hat er dem totalitären Anspruch des Nazismus widerstanden, indem er den Amtseid auf Hitler ebenso wie den „Deutschen Gruß“ ablehnt. Viele haben wegen des Amtseides später Verbrechen auf sich genommen und sich nicht gegen das System und seine Schergen gewendet. Viele haben den „Deutschen Gruß“ achtlos verwendet und damit die NS-Ideologie im Alltag „normal“ gemacht. 

Dieses Aufstehen gegen den Zeitgeist verdient Respekt und Anerkennung. Davon können wir auch heute lernen. 

Wie bei allen Menschen gibt es bei Barth auch viel Menschliches und Allzumenschliches, das gerne gegen Barth in Szene gesetzt wird. Seine Beziehung zu seiner Mitarbeiterin, das Zusammenleben mit der Ehefrau wirken selbst heute noch bizarr. 

Wir lassen heute niemanden gerne auf einem Podest und stürzen Standbilder gerne um, weil viele nur das eigene Standbild akzeptieren und nur dieses festhalten.

Ich denke aber, dass wir großen Leistungen auch Respekt entgegen bringen können. Für mich gehört Karl Barth zu einem bedeutenden Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts. Ich muss deshalb nicht jede Eskapade gutheißen, verschleiern oder gar verteidigen.

Literaturhinweise

H.G. Pöhlmann1984: Gottesdenker. Reinbek S. 27ff.; C. Tietz 2019: Karl Barth. Ein Leben im Widerspruch. München: C.H. Beck; K. Meiß 2020: Aufstehen gegen den Zeitgeist. www.erf.de/erf-plus/audiothek/