Identitätsentwicklung nach Marcia

Für die Frage, wie Menschen zu ihrer Ich-Identität gelangen, hat James Marcia (* 1937) durch Forschungsinterviews wichtige Aufschlüsse erhalten. Seine Fragen zielten auf politische und religiöse Überzeugungen, Sexualität und Werte. Ein wichtiges Ergebnis ist die Konstruktion von Identität. Der jeweiligen Status von Identität wurde durch zwei Dimensionen erfasst, nämlich Verpflichtung (Commitment) und Erkundung (Exploration). 

Hilfreich für die Entwicklung in Jugend und Erwachsenenzeit ist das Modell von Marcia. Er beschreibt die Identitätsentwicklung anhand von vier Phasen. Zunächst übernehmen viele Menschen ihre Identität von anderen: Die Eltern gehen sonntags in eine Gemeinde, glauben an Gott und das übernehmen die Kinder. Marcia spricht von „übernommener Identität“.

Besonders mit der Pubertät beginnen Menschen Übernommenes grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie geraten in die Phase der „Identitätsdiffusion“. Nicht wenige Kinder von Christen berichten davon, dass sie von Gott und dem Glauben ihrer Eltern nicht mehr überzeugt sind. Sie erproben andere Gewissheiten. Marcia nennt diese Phase die „kritische Identität“, man erkundet eigene Wege und Lebensausrichtungen. Schließlich gelangt man zur „erarbeiteten Identität“, man wird sich seiner Sache neu sicher. Die einen finden zu einem eigenen Ausdruck ihres Glaubens, die anderen wenden sich vom Glauben der Eltern ab. Ähnlich erleben andere es mit politischen Überzeugungen, den Erziehungsprinzipien in der Familie, ihrem Musikstil usw. 

Die übernommene Identität verzichtet auf eine Erkundung und übernimmt Vorstellungen von Bezugspersonen. In der diffusen Identität fehlen Bindungen (Beruf, Werte, Partnerschaft), die Jugendlichen unternähmen aber zielgerichtet Erkundungen, probieren aus, vergleichen und reflektieren. In der kritischen Identität erkundet man aktiv, aber noch fehlt eine Bindung. Die erarbeitete Identität zeichnet sich durch eine bewusste Bindung bei Offenheit für weitere Erkundung aus. Heute zeige die Grundtendenz dahin, dass der Anteil der Identitätsdiffusion deutlich zunähme (Schneider/Lindenberger 2008: 554).

Zum Nachdenken: Inwiefern kannst du die vier Identitätszustände in Bezug auf Deine Werte, religiösen oder politischen Überzeugungen in Deiner Jugendzeit nachvollziehen?  Hast Du andere Erfahrungen gemacht? 
Wie stehst Du heute den entsprechenden  Überzeugungen Deiner Eltern gegenüber