Bonifatius – Einsatz über das Rentenalter hinaus

Bonifatius (Bild von Frank P. auf Pixabay)

Wynfreth-Bonifatius gilt heute als Apostel der Deutschen. Als Angelsachse kommt er auf den Kontinent und wirkt als Missionar im hessisch-thüringischen Grenzland des frühen Mittelalters. Er gehört zu den großen Lehrern seiner Zeit, erfahren als Seelsorger und Verkündiger, erfolgreich in diplomatischen Missionen lehnt er eine kirchliche Karriere als Abt oder Bischof ab, sondern tritt die gefährliche Reise auf den europäischen Kontinent an. Dort geht er zielsicher in die unsicheren Gebiete des Ostens. Was bewegt diesen Mann zu seiner geschichtlichen Mission?

Biografie

Wynfreth-Bonifatius lebt in der Epoche des frühen Mittelalters (6.-10. Jh.). Nachdem die römische Antike unter den „Völkerstürmen“ zusammengebrochen ist, entsteht nördlich der Alpen eine neue Zivilisation unter christlichem Vorzeichen.

Dort leben damals etwa 7 Mio. Menschen, die große Mehrzahl arbeitet in der Landwirtschaft und lebt in kleinen Siedlungen. Wenige antike Städte überleben das Mittelalter. Zur Oberschicht zählen 30.000 Menschen: Adlige und Krieger leben auf Burgen, wenige Bischöfe und Priester in Städten, Mönche sammeln sich in Klöstern, zunächst in den Städten, später in ländlichen Gegenden. 

Am Ende der Völkerstürme dehnt der Islam rund um das Mittelmeer seinen Einfluss aus. 732 kann das Frankenreich unter Karl Martell ihr Vordringen in Europa stoppen.

In Irland entwickelt sich eine iro-schottische Mönchskirche mit einer hohen antiken Bildung, die sich erst in Großbritannien und später auf dem Kontinent ausbreitet. Wenn Mönche sich auf Pilgerschaft (Ideal „asketische Heimatlosigkeit“) begeben, bringen sie ihre Form des Glaubens mit, sie bauen Klöster an „zufälligen“ Orten. In Rom überlebt ein Zentrum der antiken katholischen Kirche, Päpste ringen mit den Iroschotten um Einfluss – erst in England, dann auf dem Kontinent. 596 sendet Papst Gregor I. Missionare nach England, um die Angelsachsen für den römischen Glauben zu gewinnen. (Tradition römischer Expansionsstrebens als christliche Mission?). 664 entscheidet sich eine englische Synode für ihre Zugehörigkeit zur römischen Kirche.

Während sich in Gallien und Italien katholische Gemeinden halten, herrscht unter den slawischen und germanischen Völkern östlich des Rheins eine eigene religiöse Tradition. In manche Gebieten dazwischen leben beide religiösen Systeme nebeneinander, Menschen bedienen sich bei beiden. Heute sprechen wir von Patchwork-Religiosität.

Wynfreth – Anfänge in England

Der bekannteste angelsächsische Missionar ist heute Wynfreth-Bonifatius (ca. 672-754). Vieles in seinem Leben liegt im Dunkeln, sein Biograf wollte seinen Lehrer als herausragende Gestalt, als Glaubenshelden, als Heiligen darstellen. 

Er wird etwa 672 als Sohn eines angelsächsischen Grundherrn in der Nähe von Exeter geboren. Bereits als 7jähriger geben die Eltern ihren Sohn Wynfreth in ein Kloster. Nach dem Zeugnis seines Biografen habe er selber eine Sehnsucht nach dieser Lebensweise gehabt. Über den Hintergrund vermögen wir nichts zu sagen. 

Viele Kinder von Adligen werden von ihren Eltern in ein Kloster gegeben. Viele haben die fromme Erwartung, dass Gott die Kinder sowie die ganze Familie dafür segnen wird. Für die Kinder stellt ein Klostereintritt oft eine sehr gute wirtschaftliche und soziale Versorgung dar. Dort erhalten sie einen einzigartigen Anschluss an Bildung  der Zeit, die anderswo nicht zu bekommen ist.. 

Wir wissen über die ersten Jahrzehnte seiner Klosterzeit nichts. Erst als Missionar und Kirchenleiter wird er später interessant, ein Schüler schreibt seine Biografie und sammelt seine Briefe. 

Im Kloster besucht er die Klosterschule und arbeitet dann dort selber als Lehrer. Wir dürfen daraus auf eine Begabung als Lehrer schließen. Als 30jähriger empfängt er die Priesterweihe. In über 30 Jahren eignet er sich die Bildung seiner Zeit an: Bibel und Kirchenväter werden ihm vertraut, er veröffentlicht als Gelehrter Bücher: einige Lehrbücher, eine Grammatik, eine Metrik. Im Kloster entwickelt er Fähigkeiten in Seelsorge und Verkündigung. In England verinnerlicht er die kirchliche Ordnung und Struktur in ihrer Verbindung zum Papst in Rom. Auch auf dem diplomatischen Parkett sammelt er Erfahrungen. Ein idealer Kandidat für ein kirchenleitendes Amt als Bischof oder Abt.

Als er 716 mit rund 40 Jahren zum Abt seines Klosters gewählt wird, fällt er nach drei Jahrzehnten Klosterleben eine Entscheidung: Er will seine Heimat verlassen und Missionar werden. Sein Biograf Willibald meint, er wäre von der Vision asketischer Heimatlosigkeit ergriffen worden. 

Aufbruch aus der Comfortzone

Im Alter schreibt Wynfreth-Bonifatius über seine Berufung in einem Brief:

Wir wollen nicht stumme Hunde sein, nicht schweigende Späher, nicht Mietlinge, die vor dem Wolf fliehen, sondern besorgte Hirten, die über die Herde Christi wachen und den Armen, jedem Stand und Alter, ob gelegen oder ungelegen, jeden Rat Gottes verkünden.

Briefe des Bonifatius, Brief 78 zit. nach von Padberg 2006: 61

Als „Hirten“ „der Herde Christi“ den „Rat Gottes“ verkünden. Ein starkes Motiv, das sein Leben durchzieht.

Als Wynfreth aufbricht, wird er in die Gebetsgemeinschaft seiner Heimatkirche aufgenommen. Diese Gebetsgemeinschaften sind intim und innig. Offen werden auch kritische Töne vorgebracht, diese sind sogar erwünscht.

Es ist unser Wunsch, dass eine solche geistliche Aussprache über Ratschläge, wenn Gott will, solange wir hier unter den Sterblichen leben, immer gegenseitig mitgeteilt werde, unter dem Beistand dessen, von dem allein heilige Wünsche, richtige Ratschläge und gerechte Werke kommen.

Bonifatius Brief 78 an den Erzbischof von Canterbury

Das Gebet gibt den Missionaren Rückhalt, sodass auch in den neuen Missionsklöstern Fritzlar oder Fulda das Gebet für die Missionare eine bedeutende Rolle einnimmt.

Anders als seine irischen Vorgänger wie Columban verfolgt Wynfreth ein klares geografisches Ziel und zieht nach Friesland. Dort arbeiten angelsächsische Mönche seit Jahren missionarisch, Friesisch und Angelsäschisch (Englisch!) sind verwandte Sprachen. Aber Wynfreth kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Der Friesenherzog Radbod bekämpft die Missionare energisch, weil er sie für Verbündete der expansiven christlichen Franken hält. So kehrt er im Herbst nach England zurück.

Im Frühjahr 718 zieht Wynfreth als Pilger nach Rom und lässt sich vom Papst im Mai 719 in die Mission aussenden, mit seiner Sendung erhält er seinen neuen Namen: Bonifatius. 

Papst Gregor II. schreibt in seiner Missionsvollmacht: 

Da wir nun erfahren haben, dass du von Kind auf in der heiligen Schrift unterrichtet bist und dass du herangereift im Blick auf die Liebe Gottes zur Mehrung des von dir vom Himmel anvertrauten Pfundes Deine Begabung dahin richtest, dass du die Gnade der Kenntnis des göttlichen Wortes in unablässiger Bemühung auf das Werk heilbringender Predigt verwendest, um ungläubigen Völkern das Geheimnis des Glaubens bekannt zu machen, so freuen wir uns mit dir deines Glaubens und wollen Mithelfer werden an deinem Gnadenvollzug.

Briefe des Bonifatius Nr. 12 zit. nach Padberg 1998: 243

 Wynfreth hat sich in Rom vorgestellt, seine Begabung wird gewürdigt und so wird er hinausgesandt.

Im Auftrag des Papstes

Er möchte im Auftrag des Papstes arbeiten, dessen tatsächlicher Einfluss damals recht bescheiden ist. Aber für Bonifatius ist der Zusammenhalt mit dem Zentrum der Weltkirche ein entscheidender Aspekt seiner Vision.

Wynfreth soll den Heiden in Germanien das Evangelium predigen. Nachdem er sich bei den Langobarden in Norditalien aufgehalten hat, zieht er nach Bayern und von dort nach Thüringen und Hessen. 

Da erreicht ihn die Nachricht vom Tod des Friesenherzogs Radbod und so zieht er nach Friesland, um drei Jahre als Mitarbeiter seines Landsmannes Willibrord zu wirken, der seit 690 in Friesland arbeitet. Das Miteinander scheint nicht günstig gewesen zu sein, denn schon bald zieht Bonifatius wieder nach Hessen. Missionarische Arbeit braucht auch damals langen Atem und ein gutes Miteinander im Team.

Besonders intensiv arbeitet Bonifatius im hessisch-thüringischen Grenzgebiet. Rastlos bereist er die Dörfer und Siedlungen, mahnt, verkündet, baut auf. 722 wenden sich viele dem neuen Glauben zu: Nach einer Predigt wird getauft, die Getauften werden dann christianisiert. Diese Arbeit wird lange dauern, die Umstände der Zeit sind bescheiden, alles kommt nur langsam voran.

Dann reist Bonifatius erneut nach Rom, dort wird er 722 zum Missions-Bischof berufen und schwört Petrus einen Treueid, den katholischen Glauben zu bewahren und für die Einheit der Kirche einzustehen.  Der Eid des Bonifatius ist typisch für Angelsachsen, die dem Papst treu ergeben sind und für die Einheit der Gesamtkirche eintreten, weil die Päpste die Mission unter den Angelsachen betrieben haben.

Eng arbeitet Bonifatius mit dem fränkischen Reichsverweser Karl Martell zusammen, dem an einer starken und reichen Kirche gelegen ist. Als Bonifatius 722 als Missionsbischof aus Rom zurückkehrt, lässt er sich vom Reichsverweser einen Schutzbrief ausstellen. Auch das ist ein wichtiges Handlungsmuster.

Missionarische Erfolge

Um 722 kommt die missionarische Arbeit gut voran. Im Zentrum der Verkündigung steht die Predigt in der jeweiligen Volkssprache. Leider schweigen unsere Quellen über konkrete Inhalte. Von Bonifatius hören wir immer wieder, dass er Teile der Bibel oder Kommentare sowie Märtyrerberichte von Klöstern erbittet. Sein Biograf Willibald berichtet, dass er sich täglich mit den evangelischen Überlieferungen beschäftigt, um sich deren Inhalt einzuprägen. Die Lebensgeschichten der Märtyrer nutzt er vermutlich als Beispiele für seine Predigten. Biografien tragen also vermutlich schon damals die missionarische Verkündigung.

Zu den berühmten Berichten gehört die Fällung der sogenannten Donareiche bei Geismar (etwa 722). 

Bonifatius fällt die Donareiche (Gemälde aus dem 19. Jh.)

„Damals aber empfingen viele Hessen, die den katholischen Glauben angenommen und durch die siebenfältige Gnade des Geistes gestärkt waren, die Handauflegung, andere aber, deren Geist noch nicht erstarkt, weigerten sich, die Wahrheiten des reinen Glaubens zu empfangen; einige opferten auch heimlich [an] Bäumen und Quellen, andere taten dies ganz offen; einige wiederum betrieben teils offen, teils im geheimen Seherei und Wahrsagerei, Losdeuten und Zauberwahn; andere da­gegen befassten sich mit Amuletten und Zeichendeuterei und pflegten die verschiedensten Opfergebräuche, andere dagegen, die schon gesunderen Sinnes waren und allem heidnischen Götzendienst entsagt hatten, taten nichts von alledem. Mit deren Rat und Hilfe unternahm er [Bonifatius] es, eine ungeheure Eiche, die mit ihrem alten heidnischen Namen die Juphitereiche genannt wurde, in einem Ort der Gäsmere [Geismar bei Fritzlar] hieß, im Beisein der ihn umgebenden Knechte Gottes zu fällen. Als er nun in der Zuversicht seines standhaften Geistes den Baum zu fällen begonnen hatte, verwünschte ihn die große Menge der anwe­senden Heiden als einen Feind ihrer Götter lebhaft in ihrem Innern. Als er jedoch nur wenig den Baum angehauen hatte, wurde sofort die gewaltige Masse der Eiche von höherem göttlichen Wehen geschüttelt und stürzte mit gebrochener Krone zur Erde, und wie durch höheren Winkes Kraft barst sie in vier Teile.“ ()

KThGQ II S. 23 f.

Mit dem Holz des Baumes baut Bonifatius eine Kirche zu Ehren des Petrus. Der christliche Missionar fällt eine heilige Eiche, die dem Gott Donar geweiht ist und erweist dadurch die größere Macht seines Gottes als die Donars. Daraufhin lassen sich viele Hessen taufen.

Wie der Bericht zeigt, ist die Situation diffus. Manche Hessen haben sich dem Christentum angenähert, die Mehrzahl bleibt aber bei den traditionellen religiösen Gewohnheiten. Als Bonifatius die Eiche fällen will, kommt es zu einem geistlichen Kampf, an dessen Ende sich der christliche Gott als Sieger erweist. Verwünschen die Heiden erst den Frevel, so unterwerfen sie sich diesem Gott, von dem sie künftig Hilfe erwarten.

Immer wieder erfahren wir von solchen Zeugnissen der Macht, die die Andersdenkenden zur Umkehr bringen. Macht wird aber nicht so sehr im Sinne einer Unterdrückung ausgeübt als vielmehr als geistliche Erfahrung, die die Beteiligten zum Umdenken bringen soll. Die Umstehenden begreifen also, dass ihre Erwartungen an die Macht der alten Götter falsch waren und dass der christliche Gott stark ist. Die Menschen damals erleben Aufschlussmomente, in denen sie ihre Welt neu sehen lernen. 

Ein langwieriger Christianisierungsprozess setzt ein, Schritt für Schritt müssen das Evangelium und die christlichen Gebote verkündet werden. Bonifatius durchzieht unermüdlich das Land, verkündet selbst oder sendet Mitarbeiter. 

Ein Netz von Klöstern soll der missionarischen Durchdringung Stabilität geben, in den Klöstern werden Priester ausgebildet, von dort versorgen sie das Umland. So gründet Bonifatius z.B. Klöster in Amöneburg, Fritzlar und Ohrdruf. Als Äbte setzt er Vertraute Mitarbeiter aus seiner angelsächsischen Heimat ein.

Herausforderungen

Die Zusammenarbeit mit den Franken ist nicht immer leicht. Hohe kirchliche Ämter sind im Frankenreich vom Herrscher an Adlige vergeben worden, deren Begabungen nicht gerade für einen kirchlichen Dienst passen. Viele freuen sich an den guten Einkünften der Bistümer und bringen ihre Gemeinden nicht wirklich voran. Sie betrachten den Ausländer Bonifatius als lästigen Kritiker als er 732 zum Missions-Erzbischof und 737 zum päpstlichen Legaten für Germanien ernannt wird. 

Als sich Bonifatius beim Papst erkundigt, wie er mit solchen Bischöfen verfahren soll, deren Lebenswandel problematisch sei, wird er ermutigt, diese „zur Reinheit kirchlicher Zucht“ zu führen (Brief 26). Wie er das bewerkstelligen soll, wird ihm nicht mitgeteilt. So bleibt seine Stellung schwierig.

Als der fränkische Reichsverweser Karl Martell 741 stirbt, übernehmen seine Söhne Karlmann und Pippin die Macht im Lande. Da beide im Kloster erzogen worden sind, scheinen sie für die kirchlichen Aufgaben und Ziele aufgeschlossener als ihr Vater. So rückt eine Kirchenreform in greifbare Nähe.

Kirchenreformer

Bonifatius hält mit den Reichsverwesern eine Reihe von Reformsynoden ab. Sie zeigen, dass er eine neue Vision von Kirche hat: jährliche Synoden sollen der Kirchenreorganisation dienen und die Frömmigkeit von Laien und Geistlichen fördern, das Heidentum soll zurückgedrängt werden. Eine Reformsynode von 742 (Concilium Germanicum) beschließt im Beisein des Herrschers und seiner politischen und kirchlichen Führer:

Wir haben nach dem Rat der Priester und meiner Großen in den Städten Bischöfe eingesetzt und über sie als Erzbischof den Bonifatius bestellt, den Abgesandten des heiligen Petrus. Wir haben beschlossen, jährlich eine Synode zu versammeln, damit in unserem Beisein die Beschlüsse und Rechtsordnungen der Kirche erneuert und die die Ordnung in der Christenheit verbessert wird. Und das entzogene Vermögen der Kirchen haben wir den Kirchen zurückgegeben. Falschen Priestern […] haben wir ihre kirchlichen Pfründen entzogen […].Allen Dienern Gottes haben wir es untersagt, Waffen zu tragen, zu kämpfen, ins Feld und gegen den Feind zu ziehen, außer denen, die wegen des Gottesdiensts […] hierzu ausersehen sind. […] Wir haben auch allen Dienern Gottes das Jagen und Herumstreifen in den Wäldern mit Hunden untersagt sowie das Halten von Habichten und Falken. Wir haben […] verordnet, dass jeder Priester innerhalb seines Bezirks dem Bischof […] untergeordnet sein soll. Und immer in der Fastenzeit soll er dem Bischof einen Rechenschaftsbericht über seine Amtsführung vorlegen, über die Taufen, die katholische Glaubenslehre und die Gebets- und Messordnung […].Wir haben beschlossen […], dass jeder Bischof in seinem Bezirk unter Mitwirkung des Grafen, der der Beschützer der Kirche ist, dafür zu sorgen hat, dass das Volk Gottes nichts Heidnisches treibe, sondern allen Unflat des Heidentums ablege und von sich weise […]

zit. nach: KThGQ II, S. 24 f.

Die Regelungen werfen ein eindrückliches Licht auf eine schwache Kirche. Die Beschlüsse sollen die Organisation der Kirche stärken, indem Bischöfe eingesetzt werden und die Priester ihnen zu bestimmten Zeiten Rechenschaft geben müssen. Problematisch dürfte insbesondere die geringe Anzahl von Städten im Osten des Reiches gewesen sein, wodurch die Bistümer automatisch sehr groß und damit schwer zu verwalten und zu kontrollieren sind. 

Auch die Anweisungen für das Verhalten der kirchlichen Mitarbeiter zeigen uns, wie Priester und Bischöfe damals ihren Tag verbringen und sich offensichtlich eher wenig um ihre eigentlichen kirchlichen Aufgaben kümmern. Jene Priester und Bischöfe werden der Mittel- und Oberschicht entstammen, deren Leben zwischen Jagd und Krieg von Abenteuern geprägt ist. Da ähnliche Beschlüsse immer wieder von Synoden gefasst werden, dürfen wir nicht erwarten, dass die Ziele rasch erreicht werden. Im frühen Mittelalter gehen Prozesse langsamer voran.

Der Hinweis auf den Kampf gegen das Heidentum durch Bischöfe und Grafen zeigt einmal mehr die enge Zusammenarbeit von Kirche und Staat einerseits und die noch diffusen religiösen Verhältnisse andererseits.  Noch lange leben verschiedene religiöse Gewissheiten und Gebräuche nebeneinander.

So arbeitet Bonifatius in der zweiten Hälfte seiner Tätigkeit seit 741 als Organisator der fränkischen Kirche, nun ist päpstlicher Beauftragter für ganz Germanien. In enger Zusammenarbeit mit Papst und König ordnet er die fränkische Kirche, gründet neue Bistümer, regelt die Amtsgeschäfte der Priester und Bischöfe, sorgt für den Erhalt kirchlicher Besitzungen und für die Beachtung kirchlicher Vorschriften. 

746 wird Bonifatius dann Erzbischof von Mainz, seine geplante Beauftragung in Köln war in der fränkischen Landeskirche für einen Ausländer unmöglich. Staat und Kirche wirken weiter dabei Hand in Hand, die Machtinteressen der vornehmen und einflussreichen Familien bestimmen, was möglich ist.. 

Letzte Jahre

Später wird seine Stellung in Rom schwieriger. Als er einen Priester im Bistum Salzburg kritisiert, da dieser die lateinische Sprache nicht beherrscht, wendet sich dieser direkt an den Papst und dieser stellt sich gegen Bonifatius. 

Als 747 Karlmann als Herrscher des östlichen Frankenreiches zurücktritt, um ins Kloster zu gehen, wird es politisch schwerer. 

Als 751 der Reichsverweser Pippin selber König werden will, wird er von Bonifatius im Auftrag des Papstes zum König gesalbt; daher nennen sich die Herrscher fortan König von Gottes Gnaden.

Es verwundert nicht, wenn die Briefe aus den letzten Jahren seines Lebens resignative Töne zeigen. Der Papst ist damit einverstanden, dass Bonifatius Schüler Lullus ihm die Verantwortung für das Bistum Mainz abnimmt. So zieht er sich nach Fulda zurück. Er selbst berichtet dem Papst von diesem Kloster im Wald in der Einöde.

„An diesem Ort möchte ich, im Einvernehmen mit eurer Frömmigkeit, ein wenig für einige Tage meinen vom Alter erschöpften Körper durch Ruhe erfrischen. Und nach dem Tode möchte ich hier ruhen. Vier Völker nämlich, denen ich das Wort Christi durch Gottes Gnade gesagt habe, wohnen bekanntlich in der Umgebung dieses Ortes; ihnen kann ich mit eurer Vermittlung, solange ich lebe und geistig frisch bin, nützlich sein.“

Seine Liebe zu Hessen, Thüringern und Bayern ist noch immer groß, als viertes Volk meint er vielleicht die Sachsen, das ist aber nicht sicher. Mit zunehmenden Alter zieht er sich von seinen Verwaltungsaufgaben zurück. 

Am Ende seines Lebens macht sich der greise Bonifatius 753 noch einmal auf, um in Friesland missionarisch zu wirken. 

Tod des Bonifatius in Friesland

Das Unternehmen hat einigen Erfolg, Menschen bekehren sich und wollen sich taufen lassen. Plötzlich wird der Missionstrupp von Heiden umzingelt und getötet. Er wird im Kloster Fulda beigesetzt.

Auf einer Handschrift des Kloster Fulda aus seiner Gründungszeit liest man die Bemerkung:

„Durch deine Befehle werden die Seelen unterwiesen. Wenn etwas krumm ist, richtest du es gerade. Wenn etwas zu bessern ist, machst du es gut. Nichts ist mir teurer, nichts ist mir süßer, mehr als mein Leben bist du mir lieb.“

Wir dürfen uns die Erfolge der Mission aber nicht allzu groß vorstellen, zumal erst einmal Prediger ausgebildet und Bibelübersetzungen angefertigt werden müssen. Noch Ende des 8. Jh. fehlt der fränkischen Kirche eine Konsolidierung, noch Jahrhunderte ist die Bindung der Germanen und Slawen an ihre traditionelle Kultur und Religion sehr intensiv. Es wird noch Jahrhunderte dauern, bis die Menschen das Evangelium wirklich annehmen. Aber Jesus hat sein Werk unter den germanischen Völkern ange­fangen. Bis heute ruft er uns zu sich, hat er Mühe mit unserer Kultur. Und er hat sicher auch Freude mit unseren guten Gaben.

Reflexion

Einleitung

Das Leben des Bonifatius liegt nun vor uns, wir wollen nach seiner treibenden Vision und seinen typischen Handlungsmustern schauen.

Was bringt einen Menschen dazu, auf dem Höhepunkt seines Lebens alles Erreichte aufzugeben und aus einer angenehmen Komfortzone in eine ungewisse Zukunft zu gehen? Germanien ist damals Entwicklungsland, fremd und voller Herausforderungen für einen Lehrer an einer Klosterschule.

Handlungsmuster

Seit seinem 7. Lebensjahr lebt Bonifatius im Kloster, kontinuierlich wächst er in eine Lebensweise, der er Zeit seines Lebens treu bleibt. Das Klosterleben folgt einem Wechsel von Gebet und Arbeit, Mönchen teilen Besitz und dienen Gott und anderen Menschen.

Als er die Heimat verlässt, wird er vom Erzbischof von Canterbury in die Gebetsgemeinschaft seiner Kirche aufgenommen. Durch die Gebete verschiedener Gemeinden weiß sich der Missionar künftig geborgen auf seinem gefährlichen Weg. Bonifatius schätzt die Kraft des Gebets in jenen unsicheren Zeiten sehr hoch ein. Immer wieder bittet er Äbte, Bischöfe und einfache Mönche oder Nonnen um Gebetsunterstützung für seinen Dienst. 

Zu Beginn seiner eigenen Wirksamkeit steht Wynfreths erste Romreise und seine Aussendung durch den Papst. Wiederholt zieht es ihn dorthin, immer wieder berichtet er nach Rom. 

Zugleich sucht er die Unterstützung der fränkischen Mächtigen, von Karl Martell lässt er sich einen Schutzbriefausstellen. Ein weiteres typisches Merkmal für seine Arbeitsweise ist neben der Gebetsgemeinschaft also die enge Zusammenarbeit mit Päpsten und den Herrschern seiner Zeit. Politische und kirchliche Leiter arbeiten zusammen. 

Bonifatius setzt er vor Ort auf die Errichtung von Klöstern als Missions- und Kirchenzentren. Das entspricht seiner geistlichen und organisatorischen Erfahrung und ist der Situation geschuldet. Dort werden Mönche ausgebildet und die Verkündigung und Seelsorge in den Missionsgebieten organisiert. Für die Angelsachsen steht Bildung im hohen Kurs, Mönche lernen lesen und schreiben, sind so in der Lage, die Tradition der Antike zu erhalten. Zugleich sammeln sie in den Bibliotheken der Klöster das Wissen der Vergangenheit. 

Grundlage der Missionskirchen bilden also nicht Gemeinden wie in der Alten Kirche, sondern geistliche Zentren, in denen Gottesdienste gefeiert, Ausbildung ermöglicht und kirchliche Verkündigung organisiert wird. Parallel dazu stehen an den Bischofssitzen Domschulen, in denen ebenso Schule und Ausbildung von Pfarrern stattfindet. Später erwachsen diesen Einrichtungen oft Hochschulen. Bildung und Forschung sind weitere Aspekte seines Wirkens.

Werfen wir kurz einen Blick auf die „Missionsmethode“. Hier scheint er ausgehend von biblischen Geschichten seine Predigt durch Biografien von Märtyrern verbunden zu haben. Die Verbindung von guten Werken und dem Heil scheinen bei ihm wichtig gewesen zu sein.

Vision

Als Kind hat ihn die Sehnsucht nach einem klösterlichen Leben angetrieben. Auf Dauer findet er seine Erfüllung nicht in einem abgeschiedenen geistlichen Leben, sondern erst arbeitet er als Lehrer, dann als Priester und dann zieht es ihn in die Fremde: Zuerst übernimmt er das Ideal der asketischen Heimatlosigkeit nach dem Vorbild der iroschottischen Mönche und zieht auf den Kontinent

In seinem weiteren Leben ist es nicht die Heimatlosigkeit, sondern eine Mission, die ihn treibt, nämlich das Evangelium zu den Völkern zu bringen. Dafür verlässt er seine klösterliches Leben und zieht in die Fremde. Für seine Mission in der Fremde sucht er immer die Gebetsunterstützung seiner Heimatkirche und die Zusammenarbeit mit dem Papsttum.

Zugleich arbeitet Bonifatius auch pragmatisch, sucht in den Unruhen seiner Zeit ein gutes Auskommen mit den regionalen Machthabern und baut damit die Verbindung von Kirche und Staat unter den neuen Bedingungen seiner Zeit aus.

Er weiß um die Bedeutung von Strukturen für die missionarische Arbeit. Im zweiten Teil seiner Missionsarbeit arbeitet er unermüdlich an der Kirchenreform und baut Klöster zu geistlichen Zentren aus.

Wirkung

Bonifatius – leidenschaftlicher Missionar, der im hohen Alter noch einmal seine neue klösterlichen Komfortzone verlässt, um zu missionieren. Das zeugt vom europäischen Arbeitsethos, das es Leitern und Managern bis heute schwer macht, ihre geliebte Arbeit abzugeben.

Bonifatius legte mit den Päpsten des frühen Mittelalters (seit Gregor I.) die Grundlage für einen christlichen Kulturraum, der Europa zusammenführte und ihm bis in die Neuzeit ein fast einheitliches Aussehen aufprägte.

Literatur

Gert Haendler 1983: Bonifatius. In: Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 3, Stuttgart: W. Kohlhammer S. 69-86; Lutz von Padberg 1998: Die Christianisierung Europas im Mittelalter. Stuttgart: Reclam; Lutz von Padberg 2006: Christianisierung im Mittelalter: Darmstadt: WBG;