Beta: Sinn-Erfüllung

Nach dem Feld Alpha (Wunsch-Erfüllung) möchte ich heute das Feld Beta: Sinn-Erfüllung nach Schulz von Thun (2021: 40-62) vorstellen.

Uns Menschen geht es nicht nur um das eigene Wohl, was wir uns persönlich wünschen und wonach wir uns sehnen. Wir wollen auch gebraucht werden, wir suchen einen Sinn für unser Leben. Wir fragen daher: Was hat sich durch uns erfüllt? Viktor Frankl sprach hier von der „Selbst-Transzendenz menschlicher Existenz“ (1982: S. 147). Wir alle benötigen eine Portion von Bedeutung für das Ganze.

Beta und Alpha sind oft Nachbarinnen: Alpha wünscht etwas für sich, Beta möchte etwas für andere. Mit Recht meint Frankl, dass jede Situation einen Ruf enthält, der gehört werden will. Ich liege im Schwimmbad auf der Liegewiese und erhole mich. Ich schalte ab und döse vor mich hin. Fällt ein Kind ins Wasser, ruft die Situation nach sofortiger Hilfe. Ich muss sofort helfen. Der Einsatz hängt freilich auch an der Person: Fällt das Kind ins Wasser und ich kann nicht schwimmen, muss ich andere alarmieren. Meine eigenen Bedürfnisse treten jedenfalls in den Hintergrund. 

Alpha und Beta brauchen einander, sonst drohen Fehlentwicklung, die zu keinem erfüllten Leben führen. Wer nur für sich selbst lebt, landet im übelsten Egoismus, das eigene Wohlbefinden wird zur Selbstherrlichkeit. Vielleicht erlebt man dann große Unzufriedenheit mit sich selbst und mit dem Leben. Wer dagegen nur für andere da sein will und nur an seine Pflicht denkt, vernachlässigt die ureigenen Bedürfnisse und landet vielleicht im Burnout. Auch so sieht erfülltes Leben nicht aus!

Hier ist eine Balance zwischen Pflicht und Neigung erstrebenswert. Pflichtenmenschen sollten sich regelmäßig auf Selbstfürsorge einlassen und für sich selber sorgen: sich eine Auszeit nehmen, den Feierabend genießen etc. Menschen, die meistens für sich selbst sorgen, soltlen sich dagegen Möglichkeiten zur Hingabe suchen, weil Sinnerfüllung wichtig ist.

Schulz von Thun (2021: 54f.) zeigt am Bild eines Schlüssels, wie Alpha und Beta gut zusammenarbeiten.

Der Kopf des Schlüssels steht dafür, dass man auch um seiner selbst willen da ist. Ich darf mir etwas Schönes wünschen, ich darf mich ausruhen und die Pflicht Pflicht sein lassen. Hier haben viele „Pflichtenmenschen“ massive Probleme.
Der Bart des Schlüssels „soll ins Schloss greifen“ und etwas für das Ganze bewirken. Der Bart steht also für die Wirkkräfte, die Begabung und Fähigkeiten, die ich geerbt oder entwickelt habe.

Ich brauche also meine Selbstfürsorge, sie gibt mir Kraft und Ausdauer. Aber ich brauche auch den Sinn in meinem Leben, um mich langfristig zu motivieren.

Als ich den Wunsch in mir spürte, Lehrer zu werden, ging es mir zunächst vor allem um den Gedanken, einen interessanten Unterricht zu gestalten. Schülerinnen und Schüler sollten Spaß haben.
Später ging es mir dann darum, als Lehrer Wichtiges zu vermitteln. Im Deutschunterricht ging es in meiner Schulzeit sehr stark um eine gesellschaftskritische Sicht (jedenfalls interpretierten wir so die Werke von Wolfgang Borchert, Max Frisch, Bert Brecht, Horst Eberhard Richter). Wie das positive Bild der Zukunft aussehen könnte, blieb weitgehend verborgen. Also ich das Christentum näher kennen lernte, erfasste mich missionarischer Eifer. Als Lehrer wollte ich das Evangelium verbreiten. Als Jugendlicher war mir nicht klar, dass Lehrer weltanschaulich neutral arbeiten sollen – das hatte ich auch nicht wirklich erlebt. Während meiner Jahre am Gymnasium und zu Beginn meines Studiums war das meine „Vision“.

Inhaltlich lernte ich mich selbst durch mein Studium auch noch einmal besser kennen. Ich freute mich, wenn meine Seminararbeiten bei den Professoren gut ankamen, ich nicht mehr im unteren Durchschnitt meine Leistungen erzielte, sondern nach den Sternen greifen konnte. Mein Studium machte mir Spaß (Wunscherfüllung geglückt!) und es erfüllte sich – wenigstens vorbereitend – viel Sinn. 

Am Ende des Studiums musste ich mich darauf einstellen, nicht als Gymnasiallehrer arbeiten zu können, es gab Mitte der 1980er keine Stellen. Ich konnte mein Referendariat machen, aber mit einer Anstellung im Staatsdienst konnte ich nicht rechnen. Damals tat sich für mich die Chance auf, an einer internationalen Schule in Südindien zu arbeiten, die von verschiedenen Missionsgesellschaften unterhalten wurde – für Kinder von Missionaren, Entwicklungshelfern und Menschen aus der Region. Leider klappte es mit dem Arbeitsvisum nicht und ich wich auf eine Stelle an einem theologischen Seminar aus (damals „Seminar für Innere und Äußere Mission“ der Tabor-Bruderschaft). Dort unterrichtete ich Deutsch, Kirchengeschichte, Pädagogik, Psychologie. Die Vorbereitung auf den Unterricht machte großen Spaß (Wunsch-Erfüllung) und gab mir für zehn Jahre eine höchst sinnvolle Beschäftigung (Sinn-Erfüllung). Es war wirklich eine erfüllte und glückliche Zeit.

Nach diesen zehn Jahren wurde mir die Leitung des Marburger Bibelseminars angeboten, wo ich einen Vormittag pro Woche unterrichtete. Ich nahm die Herausforderung an und begann ein neues Ausbildungskonzept zu entwickeln. Hier ging es bald nicht nur um Wunsch und Sinn. Damit beschäftige ich mich nächste Woche! Hier öffnete sich ein neues Feld!

Fragen:

  • Wofür würdest du dir einen Orden verleihen?
  • Wo hinterlässt du eine gute Spur durch dein Leben?
  • Was willst du ändern? Wie übst du Generativität?
  • (Wo gibst du das Gelernte weiter?)

Literatur

  • Viktor Frankl 1982: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. München: Piper
  • Friedemann Schulz von Thun 2021: Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee. München: Hanser