Arbeiterparteien und Gewerkschaften

Die industrielle Revolution hat zum einen von Armut und Bevölkerungsvermehrung profitiert, zugleich hat sie neue Armut für Millionen gebracht. In der freien Marktwirtschaft herrscht das freie Spiel der Kräfte. Die Unternehmen müssen sich am Markt behaupten, die Unternehmer arbeiten vorwiegend am Gewinn orientiert. Insofern es genügend Arbeitskräfte gibt, können die Löhne niedrig bleiben, ja werden Frauen und Kinder zu regelrechten Hungerlöhnen zur Mitarbeit gezwungen. Oft reicht das Einkommen der Familie dennoch kaum zum Überleben. Die Wohnverhältnisse in den neuen Ballungszentren sind sehr schlecht, viele Wohnungen sind überbelegt. Die Not der Armen wird so groß, dass sich eine revolutionäre Situation anbahnt. Als in Schlesien 1844 die Weber sich mit Gewalt gegen ihren Hunger auflehnen, wird der Aufruhr vom preußischen Militär blutig niedergeschlagen; ähnliche Szenen finden in allen Industrienationen statt.

Verschiedene Publizisten nehmen sich der Nöte an und entwickeln sozialistische Theorien, die Abhilfe schaffen sollen. In Deutschland gehört z.B. Wilhelm Weitling (1808-1871) zu den so genannten Frühsozialisten, er gründet Arbeiter-Bildungsvereine, um die Arbeiterschaft auf einen Umsturz vorzubereiten. Sein Programm einer kommunistischen Gütergemeinschaft soll die Gesellschaft von Grund auf reformieren. Einflussreicher für die Zukunft werden jedoch Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895), die einen „wissenschaftlichen Sozialismus“ entwerfen. Berühmt ist ihr „Kommunistisches Manifest“ von 1848, in dem sie dem Kommunismus als Gespenst, das in Europa umgeht, eine theoretische Grundlage geben.

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. […] Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie [Unternehmer aus dem Bürgertum] und Proletariat. […] Der Proletarier ist eigentumslos; sein Verhältnis zu Weib und Kindern hat nichts gemein mit dem bürgerlichen Familienverhältnis; die moderne industrielle Arbeit, die moderne Unterjochung unter das Kapital ist dieselbe in England wie in Frankreich, in Amerika wie in Deutschland […]. Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

Alle Geschichte ist ihrer Meinung nach eine Geschichte von Klassenkämpfen. Gegenwärtig stünden sich die Klasse der Besitzenden (Unternehmer, „Bourgeoisie“) und die der Besitzlosen (Arbeiter, „Proletarier“) gegenüber. Sie sind davon überzeugt, dass sich die Arbeiter gegen ihre Unterdrücker erfolgreich auflehnen und eine Diktatur des Proletariats errichten werden, bevor die Geschichte in den Zielzustand der kommunistischen Gesellschaft übergeht. Das Christentum lehnen sie kategorisch ab, da Religion letztendlich die vernunftlosen gesellschaftlichen Zustände widerspiegelt. Religion ist „Opium des Volkes“, mit dem die Armen über ihre Situation hinweggetröstet werden sollen. Damit nehmen die beiden eine These Feuerbachs auf, die Menschen projizierten ihre Sehnsüchte auf eine bessere Welt in den Himmel.

Marx und Engels gehen von einer materialistischen Weltbetrachtung aus, nach der alles auf Materie beruht. Religion und Glauben gründen auf den gesellschaftlichen Verhältnissen, stellen den Überbau an Ideen dar, die im Unterbau wurzeln. Eine weitere Kritik richtet sich gegen die Entfremdung des modernen Menschen, die zum einen in der Arbeitsteilung begründet ist, da der Arbeiter das Produkt seiner Arbeit nur als Teilstück sieht. Um anderen gründet die Entfremdung im Privateigentum, denn dadurch habe der Arbeiter letztlich kein Interesse an der Produktion. Die Gesellschaft zerfällt in die kleine Klasse der Besitzenden und die große der Besitzlosen, da deren Zeile auseinanderklaffen, ja die zahlenmäßig vielen von den wenigen Kapitalisten unterdrückt werden, müsse der Kapitalismus schließlich ein Opfer seiner inneren Widersprüche werden und zusammenbrechen. In den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gewinnen die Marxisten in Gestalt der Sozialdemokraten in Deutschland an Einfluss, allerdings werden viele dieser Bewegungen von einer Avantgarde getragen und nicht von den Arbeitern selber.

Die Kritik von Marx und Engels an den Kirchen ist aus den kirchlichen Äußerungen jener Zeit gut nachvollziehbar. Noch gilt vielen die Armut der Menschen als gottgewollt, allzu viele Prediger haben überhaupt keinen Blick für die einfachen Menschen und ihre Nöte, da die Geistlichen meist aus ganz anderen gesellschaftlichen Schichten stammen. Von einer Revolution wollen die Kirchen schon gar nichts wissen. Zu groß aktuell ist bei vielen die Erinnerung an die Französische Revolution und damit die Furcht vor Veränderungen. Zugleich herrscht das landesherrliche Kirchenregiment in Deutschland ungebrochen. Die Landesherren sind auch höchste Repräsentanten der Landeskirchen. Regierung und Kirchen wirken zusammen, oft spricht man vom Bündnis von Thron und Altar.

Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 spitzen sich die sozialen Nöte zu, die Industrialisierung geht weiter, der Konkurrenzdruck der Firmen wird größer. 1871 dürfen sich die Arbeiter zu Gewerkschaften zusammen schließen, 1875 wird die sozialistische Arbeiterpartei gegründet, die seit 1891 Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Ihr Programm ist an Marx und Engels angelehnt, Religion wird daher als Privatsache gesehen und abgelehnt. Auch wenn die Partei selbst nicht offen gegen die Kirchen vorgeht, so tun das manche Theoretiker und Parteiführer wie August Bebel (1840-1913) jedoch deutlich.

Um der Abwendung der Arbeiterschaft zu begegnen und die revolutionäre Gefahr im Staat zu beseitigen reagiert Kanzler Bismarck mit seiner Sozialgesetzgebung: 1883 Krankenkasse, 1884 Unfallversicherung, 1889 Invaliden- und Rentenversicherung. Insbesondere mit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. (1888) wird die Politik sogar arbeiterfreundlich.