Berufungsgeschichten in Bibel & Geschichte

Mose

Manche Geschichten der Bibel zeigen bewegende und eindrückliche Berufungsgeschichten, dazu gehört etwa die des Mose, der als Hirte in hohem Alter ein besonderes Berufungserlebnis an einem brennenden Dornbusch hat und als Bote Gottes zum König von Ägypten geht, um für Gottes Volk Israel Freiheit zu fordern und durchzusetzen. Eine andere Berufungsgeschichte ist die des Saulus aus Tarsus, der die junge Christenbewegung bis ins syrische Damaskus verfolgt und auf seinem Wege dem auferstandenen Jesus begegnet, der ihn auf eine neue Spur setzt und ihn zum Missionar macht.

Diese und andere Berufungserlebnisse machen den Begriff „Berufung“ zu einem geheimnisumwitterten Wort. Wenn wir die sehr eindrücklichen Geschichten in der Bibel und der Kirchengeschichte betrachten, so müssen viele eingestehen, dass nicht jeder so etwas Umwälzendes erfährt. Gibt es also zwei Menschenklassen? Solange man darunter keine Wertung (besser/schlechter) versteht, ist das vermutlich so. Jedenfalls scheint es Unterschiede in den Beauftragungen durch Gott zu geben. 

Wir sehen auch, dass Gott immer wieder Menschen mit ihren besonderen Begabungen gebraucht und ihnen eine Aufgabe gibt, so haben wir es von Mose gehört, und so kann man es auch bei David sehen. David war wie Mose Hirte, er konnte eine Herde zu fruchtbarem Gras und zu erquickendem Wasser führen. Und er wusste seine Tiere gegen Räuber zu verteidigen. Aber David vertraut nicht auf seine Erfahrungen und Gaben, sondern immer wieder weiß er um seine Begrenztheit und Schwäche, die ihn immer wieder in Gottes Nähe bringen und ihn zu einem Mann nach dem Herzen Gottes macht. 

Nimm Dir Zeit und denke über Deine Erlebnisse mit Gott nach. Findest Du Anhaltspunkte für eine Berufung nach dem Schema eines Mose für Deine Zukunft? 

Welche Träume hast Du von Deiner Zukunft? Was willst Du einmal erreichen?

Nehemia

Anders ist es bei Nehemia, der am Hofe des Perserkönigs als Mundschenk arbeitet und das Vertrauen seines Königs hat. Als er von den Nöten seiner Landsleute in Judäa hört, wird sein Herz berührt und er beginnt zu beten. Bei günstiger Gelegenheit tritt er an den König heran und bittet ihn um Hilfe. Zugleich bietet er dem König etwas Wunderbares an: Die Perser benötigen im Süden gegenüber den Ägyptern ein Bollwerk, denn im Norden haben sie sich mit den Griechen angelegt. Dadurch kann das Reich in eine schwierige Situation kommen, wenn die Ägypter die Lage ausnutzen. Hier sieht Nehemia vielleicht seine Chance, seinen persönlichen Wunsch für sein Volk und den Tempelgottesdienst in Jerusalem und den Wunsch des Königs nach Sicherheit im Süden seines Herrschaftsgebietes zu verbinden. 

Und der König ergreift die Gelegenheit: Nehemia vertraut er täglich als Mundschenk sein Leben an, ihn macht er daher auch zum Statthalter und Verteidiger des Südens. Er soll die Stadtmauern Jerusalems und den Tempel wieder errichten! Politische Sicherheit ist im Altertum ohne göttliche Unterstützung nicht vorstellbar, daher muss auch der „nationale“ Gott der Juden in Jerusalem verehrt werden. 

Gott macht aus dieser Bereitschaft des Nehemia etwas: Indem der König die Wünsche erfüllt, zeigt sich nach dem Verständnis des Alten Testaments der Segen Gottes, der Nehemias seinen Plan gelingen lässt. Gegen heftige Widerstände erreicht er schließlich sein Ziel, er baut die Mauern Jerusalems auf, befreit sein Volk aus der Bedeutungslosigkeit heraus und macht es bereit für einen Neuanfang. Nirgendwo steht etwas darüber, dass Gott zu Nehemia redet und ihn beruft. Nehemia hört die Nachrichten aus Jerusalem, sein Herz wird angerührt, er hat Mitleid und beginnt zu planen. Diese Bereitschaft nimmt Gott an, segnet ihn und lässt diesen Mundschenk berühmt werden unter den Gottessuchern. 

Diese Geschichte von Nehemia tröstet vermutlich alle, die keine besonderen Erfahrungen mit einem Dornbusch gemacht haben oder denen Jesus nicht in einem hellen Licht erschienen ist.

Berufung im Neuen Testament

Wo im Neuen Testament vom Begriff „Berufung“ die Rede ist, geht es um das Berufen zum Glauben. Aus Gottes Sicht sind alle darin gleich. Aber die Aufgaben der Glaubenden sind dann doch sehr unterschiedlich. So stellt Paulus gegenüber den Korinthern klar, dass nicht alle Mitarbeiter dasselbe Tun. 

„Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Ich habe nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, den Grund gelegt als weiser Baumeister; ein anderer baut darauf“. 

1.Kor 3, 9-11

Paulus zeigt hier den Lesern auf, dass jeder unterschiedliche verschiedene Aufgaben übernommen hat (Grund legen, darauf Aufbauen), die in den von Gott geschenkten Gaben gründen. Wir tun daher gut daran, über unsere Begabung gründlich nachzudenken – und dabei auch damit zu rechnen, dass wir in besonderen Situationen auch neue Gaben zeigen können.

Luthers Sicht von Berufung

Nun ist es natürlich nicht so, dass es bei den Gaben nur um solche für die Gemeinde geht. Während die mittelalterliche Kirche besonders die Berufung zum Mönch oder zum Priester herausgestellt hat, haben die Kirchen der Reformation die Gleichheit aller Berufung herausgestellt. Namentlich Martin Luthers hat deutlich gemacht, dass alle Christen durch den Glauben und die Taufe gleich sind in ihrem Verhältnis zu Gott, dass sie aber unterschiedliche Aufgaben haben. Gerade auch die schlichte Alltagsarbeit wurde von ihm aufgewertet. 

Ausgangspunkt für Luthers Nachdenken über den Beruf ist für ihn die Nächstenliebe. Mit jeder Tätigkeit diene der Mensch seinen Nächsten: Der Bauer sorgt für Nahrung, damit die anderen zu essen haben. Als Handwerker fertigt der Tischler Tische und Stühle, die er etwa den Bauern verkauft und ihnen damit dient. Die Magd hält das Haus sauber und sorgt so für ihre Nächsten. Gottes Beauftragung sah Luther darin, dass die Menschen in eine bestimmte Berufung hineingeboren wurden, ein Fürst folgte seinem Vater wie der Bauer seinem. Der Fürstensohn wurde Fürst, der Bauernsohn Bauer (oder Knecht). 

Während in Luthers Zeit die eigene Berufswahl nur für wenige Menschen eine Rolle spielte, weil die meisten Menschen den Beruf der Eltern ergriffen, muss der Mensch heute seinen Berufsweg aus einer breiten Angebotsfülle wählen. Daher spielt die Frage nach der Begabung, den Fähigkeiten und Kompetenzen eine große Rolle. Viele empfinden die Berufswahl als Qual. Und das ist es für junge Menschen auch, die nur das System Schule kennen und nur die schulischen Begabungen erkennen und erproben können. Wichtige soziale Kompetenzen spielen in der Schule eher eine untergeordnete Rolle, oft geht es sogar nur um Anpassung und Einordnung.

Für uns moderne Menschen ist es daher wichtig zu fragen: Was will Gott von mir? Was könnte der besondere Auftrag meines Lebens sein? Eher säkulare Zeitgenossinnen werden vielleicht eher so formulieren: Was will ich mit meinem Leben erreichen? Manche streben dann nach den Signalen des Wohlstands: Eigenheim, Limousine, Weltreise, Karriere und fettes Einkommen. Aber im Leben geht es um mehr. Aller materielle Reichtum ist letztlich leer, wenn er nicht sinnvoll eingesetzt wird. Nur wenn wir sie im Auftrag Gottes gebrauchen, werden Reichtümer richtig verwendet. Alle Dinge, die wir besitzen, sind uns anvertraut, damit wir sie für andere einsetzen. Und so ist es auch mit unserer Zeit, die uns zur Verfügung steht.

Nun könnte sich natürlich ein Missverständnis einstellen, dass wir uns Stress machen müssen, um unsere Berufung zu erkennen und zu leben, um unser Lebensziel zu erreichen. Hier sollte uns der Glaube immer wieder klarmachen: Wir müssen uns nicht mühen, vor Gott etwas Besonderes darzustellen, sondern Gott nimmt uns so an, wie wir sind. Gott kam in seinem Sohn Jesus zu uns hinab und wurde Mensch, wir müssen nicht zu ihm hinaufteigen und wie Gott werden! Gott erwählt Menschen, ruft sie in seine Nachfolge und beauftragt sie für Aufgaben, die er mit ihnen tun möchte. Dabei kommen alle Begabungen zum Tagen, die wir haben und erworben haben. So wird das Wissen, dass sich Mose in seiner Zeit als Hirte in der Wüste erworben hat, auf der Wüstenwanderung in Gottes Dienst genommen. Genauso werden die Kompetenzen des jüdischen Schriftgelehrten Saulus, der die griechisch-römische Welt als römischer Bürger des Ostens gut kannte, für die Mission fruchtbar gemacht. Genauso werden umgekehrt die persönlichen Grenzen der Berufenen, sei es das Alter des Mose und gewisse gesundheitliche Einschränkungen des Paulus sich auf den Dienst auswirken.