Überall sind verschiedenste Religionen verbreitet, die römische Religionspolitik möchte die alten Staatsgötter Roms bewahren, ist aber seit dem Beginn seiner Expansion auch bereit zu ergänzender Übernahme fremder Gottesvorstellungen, die sich mit dieser Tradition verbinden lassen (Christ 1981: 135). Dabei geht es immer auch um die Anerkennung der Macht der Götter, möchte man doch in Frieden mit ihnen leben (pax deum) und hofft auf ihren Segen. Dabei sind Kontakt und Bindung an die Götter nicht nur eine private, sondern auch eine staatliche Angelegenheit: Vor allen wichtigen Entscheidungen befragt man ihren Willen, bittet sie um Hilfe und stimmt sie günstig durch Opfer, Spiele und Tempelbau. Diese besondere religiöse Bindung machen die Römer für ihre erfolgreiche Weltherrschaft verantwortlich (Christ 1979: 161).
Die polytheistischen Göttervorstellungen sind weit verbreitet, oft geschieht eine Übernahme schon dadurch, dass Götter, denen man in den Provinzen begegnet, anhand ihrer erkennbaren Funktion nach eigenen Göttern benannt werden. Schon Caesar nennt gallische Götter mit den lateinischen Namen (z.B. Mars), in der Kaiserzeit gehen nicht nur Römer so vor, sondern auch viele Einheimische geben ihren Göttern die entsprechenden lateinischen Bezeichnungen, die so das Zusammenwachsen des Weltreiches begünstigen. Dahinter steht offenbar auch die Vorstellung einer Zusammengehörigkeit aller Götter, man könnte hier auch von Synkretismus reden.
Zwar erscheinen manche alte Religionen kraftlos, und Kaiser wie Augustus mühen sich wiederholt um ihre Erneuerung, andererseits leisten sie noch im 4. Jh. Widerstand gegen das Christentum. Das zeigt, dass sowohl religiöse als auch geistige Fragen die Menschen bewegen und dass sie durchaus religiös eingebunden sind.
Die heidnische Götterwelt findet sich beispielsweise in Apg. 14 Paulus in der Kleinstadt Lystra: Als er einen Lahmen heilt, verehren ihn die Bewohner als Götterboten Hermes, seinen Begleiter als Zeus. Apg. 17 Paulus in der Großstadt: Er ärgert sich über die vielen Götterbilder in der Stadt, sogar ein „unbekannter Gott“ wird verehrt. Apg. 28 Paulus auf der Insel Malta: Er wird von einer giftigen Otter gebissen; die Menschen nehmen an, dass die Götter ihn nun seiner verdienten Strafe zukommen lassen wollen; als er an dem Biss nicht stirbt, hält man ihn für einen Gott.
Die Griechen und Römer verehren ursprünglich menschenähnliche Götter, wie sie etwa in den Dichtungen Homers vorkommen, der den Kampf um Troja (Ilias) oder die Irrfahrten des Odysseus (Odyssee) beschreibt. Vereinfacht kann man von einer „arbeitsteiligen Götterwelt“ sprechen: der Chef ist Zeus (in Rom nennt man ihn Jupiter) und schleudert in seinem Zorn Blitze; seine Frau heißt Hera (in Rom: Juno) und ist für den Haushalt verantwortlich. Poseidon (Neptun) herrscht über das Meer und die Stürme; Ares (Mars) ist für die Kriege zuständig, Artemis (Diana) für die Jagd und Aphrodite (Venus) für Liebe und Schönheit.
Die Götter wohnen auf dem Olymp. Untereinander sind alle Götter verwandt und z.T. heftig verfeindet; von ehelicher Treue halten sie wenig. Insbesondere Zeus geht Verhältnisse mit Menschenfrauen ein, deren Kinder dann Halbgötter werden (z.B. Herakles/Herkules) und als solche zunächst Heldentaten vollbringen, um dann unter die Götter aufgenommen zu werden. Die Götter ähneln den Menschen, zeigen alle denkbaren Leidenschaften. Sie sind wie Menschen dem Schicksal unterworfen, jedoch unsterblich und haben mehr Macht. Meist werden sie an bestimmten Orten besonders verehrt (z.B. Artemis/Diana in Ephesus, Athene in Athen), aber auch von allen angerufen (Olympia, Olympische Spiele).
Der Kult ist noch lange lebendig: man baut und restauriert noch bis in die Spätantike Tempel, feiert regelmäßig Feste und bringt Opfer dar, Spiele und Wettkämpfe werden durchgeführt. Durch die Teilnahme am Kult, an Opfern, an Feiertagen, an Umzügen (Prozessionen), an Wettkämpfen (Olympische Spiele) werden die Götter verehrt. Allerdings scheint der religiöse Gehalt der alten Götter schon seit Augustus „nachzulassen“. Der Kult wird zur Konvention, bestimmt von der Tradition: „Das macht man so!“ Die Menschlichkeit der „Götter“ – auch deren sexuelle Verfehlungen – führen zu einer ausgesprochenen Götter- und Kultkritik, was die Übernahme neuer Götter fördert. Von einem Atheismus kann man damals aber nicht sprechen.
Neben die traditionellen Götter treten neue. Eine große Offenheit für neue Religionen (Mysterien, Helios bzw. Sonnenkult, Kaiserkult) ist für diese Zeit charakteristisch. Deutlich wird darin die ausgeprägte Heilssehnsucht jener Zeit, neue Göttergestalten und Glaubensformen breiten sich von Osten nach Westen seit dem 3. Jh. v. Chr. aus. In Apg. 17 (Paulus auf dem Areopag) wird dieses Interesse für neue Götter greifbar.
Unter den Schrecken der Bürgerkriege werden zu Beginn der Kaiserzeit religiöse Gefühle neu belebt, denn man sieht die Leiden und Nöte als Strafe der Götter. Augustus setzt sich daher für die Erneuerung der Kulte ein, zugleich schwinden die alten römischen Überzeugungen in der Bevölkerung (Christ 1979: 163).
Da sind zunächst die Mysterienkulte. Es findet sich eine Reihe ähnlicher Kulte, die aus Ägypten (Osiris und Isis), aus Phrygien in der Türkei (Attis und Kybele) oder aus Persien (Mithras) stammen. Im Zentrum steht eine göttliche oder halbgöttliche Gestalt, eine kultische Handlung stellt das Schicksal der Gottheit dar: Sie erfahren Leiden und Tod, Auferstehen und Leben – analog zu den Jahreszeiten in der Natur. In der Regel stellen sie ihren Anhängern – insbesondere Unterdrückten, Leidenden und Schwachen – das Heil in Aussicht, was mit geheimnisvollen Einweihungsritualen beginnt, die oft mit außergewöhnlichen Erlebnissen verbunden sind.
Eine andere populäre Religion wird die Verehrung des Sonnengottes (griechisch Helios), die vermutlich aus Syrien stammt. Helios ist sehr populär: allen sichtbar wird „seine“ wohltätige Wirkung deutlich; vom Staat genießt dieser Kult wiederholt offizielle Förderung.
Das erweiterte Angebot durch die Mysterien und Kult der Sonne zeigt ein erwachtes religiöses Bedürfnis, das offenbar durch die klassischen Gottheiten nicht mehr für alle erfüllt worden ist. Zugleich fordert und fördert das Imperium eine Vereinheitlichung vieler Lebensbereiche, weshalb manche Forscher der römischen Geschichte von einem Zusammenhang von Imperium und Monotheismus gesprochen haben: Aus der Fülle religiöser Begegnungen, Überlagerungen und wenigstens partiellen Identifikationen müssen sich schließlich monotheistische Vorstellungen entwickeln (Christ 1979: 166).
Mit Augustus verbinden sich nicht nur Hoffnungen auf eine politische Wende (Bürgerkriege), sondern es werden auch religiöse Erlösungshoffnungen geäußert, der Kaiser wird als Gott verehrt. Der Kaiser widmet der Restauration der Religion durchaus Zeit und Kraft. Seiner Politik kommt die Heils- und Friedenssehnsucht der Menschen entgegen. Der Dichter Vergil (70-19 v. Chr.) besingt den Friedenskaiser in Gestalt eines Knaben, den er Soter (Retter) nennt; er wird Friedenskönig des Reiches, das die Kraft des Vaters gebaut hat … Nimmer fürchtet das weidende Rind den gewaltigen Löwen.
In den östlichen Provinzen breitet sich der Kult um den Kaiser aus; er knüpft an die orientalische Verehrung von Gottkönigen an (vgl. z.B. Ägypten). Zunächst steht man im Westen dieser Verehrung eher kritisch gegenüber. Allmählich setzt sich diese neue Religion aber im gesamten Staat durch und wird zur Stütze der Verfassung. Gestorbene Kaiser können durch Senatsbeschluss nachträglich „vergöttlicht“ werden; später wird dies zum politischen Zeremoniell. Die Teilnahme am Kaiserkult wird als Zeichen für eine loyale Haltung zum Staat gewertet, der Kaiserkult wird so zu einem inneren Bindeglied des Römischen Reiches.
Gleichwohl bleibt das Imperium vor dem Ende des 4. Jh. auf Vielfalt angelegt, die römische Bereitschaft, fremde Werte und Vorstellungen zu integrieren, bleibt weiter bestehen und führt mit den Christen, die diese Toleranz in religiösen Fragen gerade nicht zeigen, zum Konflikt, denn neben dem Judentum vertreten nur die Christen kompromisslos eine monotheistische Glaubensvorstellung.
Das Judentum ist schließlich eine weitere wachsende Religion: Schon zur Zeit Jesu leben weitaus mehr Juden in der Diaspora als in Israel (von den ca. 4,5 Mio. Juden wohnen nur 0,5-0,75 Mio. in Israel). Rund um das Mittelmeer finden sich damals jüdische Gemeinden, deren Mitglieder z. B. aufgrund wirtschaftlicher Not ausgewandert oder als Kriegsgefangene verschleppt worden sind. Schon Caesar hat den Juden einige Privilegien eingeräumt, unter anderem die Befreiung vom Militärdienst und die Anerkennung des Sabbats (zudem müssen sie am Sabbat nicht vor Gericht oder Behörden erscheinen). In der Diaspora stellen sich viele Juden aber auch auf ihre Umgebung ein: Synagogen werden im hellenistischen Baustil errichtet, man geht ins Theater oder zu Sportveranstaltungen. Teilweise geben sie die eigene Sprache zugunsten des Griechischen auf und erwerben das Bürgerrecht hellenistischer Städte (Apg. 21,39) oder Roms (vgl. Paulus Apg. 16,37; der Oberst in Apg. 22,25-29).
Darüber hinaus übersetzen sie das AT in die griechische Sprache (Septuaginta, LXX) und das griechische Denken. Durch dieses Kommunikationsmittel kann man sich mit griechisch geprägten Philosophen verständigen und missionieren. Den jüdischen Gemeinden schließen sich viele Nichtjuden an, weil der Monotheismus und die Werte der jüdischen Ethik anziehend wirken. Viele scheuen allerdings die Beschneidung und leben als Gottesfürchtige „nur“ nach dem jüdischen Gesetz (Sabbat- und Speisevorschriften sowie ethische Weisungen des AT), wodurch sie immerhin locker zur Synagoge zählen. Häufig tritt dann die folgende Generation zum Judentum über.
Fortsetzung folgt