Martin Luther – Gottsucher & Weltveränderer

Ich bin dazu geboren, dass ich mit den rotten und teufeln muss kriegen  und zu felde liegen. Darum sind meiner bücher sehr stürmisch und kriegerisch.  Ich muss die klötze und stämme ausrotten, dornen und hecken weghauen, die  pfützen ausfüllen und bin der grobe waldarbeiter, der die bahn brechen und zurichten muss.

Historischer Hintergrund

Luther als Junker Jörg (Bild von fsHH auf Pixabay)

Im 15. Jh. gibt es zunehmend Anzeichen für einen Epochenwandel. Das Wissen entnahm man 1000 Jahre lang alten Büchern der Vorzeit. Nun beginnen einzelne Menschen, die Welt selbst zu erforschen: Seefahrer brechen von Portugal auf und suchen den Seeweg nach Indien. Am Ende wagt Columbus gar den Weg nach Westen, um nach Indien zu gelangen, weil er von der Kugelgestalt der Erde überzeugt ist. Forscher ersteigen erstmals hohe Berge. Astronomen erstellen neue Sternkarten für die Navigation. Technische Erfindungen ermöglichen neue Wege: Schwarzpulver verändert Kriege, astronomisches Wissen,  Sextant und Kompass ermöglichen Entdeckungsfahrten übers offene Meer. Der Buchdruck ermöglicht eine neue Form von Öffentlichkeit und weckt Interesse an Bildung.

Manche Forschungsergebnisse passen nicht mehr mit den kirchlichen Überzeugungen überein: Ist die Sonne ein Licht am Himmel oder ein Stern, um den sich die Erde dreht? Kann die Erde wirklich eine Kugel sein? Da die Kirche die meisten Forschungsergebnisse abstreitet, entstehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kirche. Oder sind die Kirchenleute dumm? Geistliche können kaum gutes Latein, unerlässlich als universale Wissenschaftssprache.

In Italien studieren Gelehrte die Schriften vor-christliche Antike, nennen die Zeit danach abschätzig „Mittelalter“ und sprechen von einer beginnenden Neuen Zeit. Das biblische Menschenbild vom Sünder tritt zurück hinter das humanistische Bild vom guten Menschen, dem es an Bildung mangelt. Künstler wie Dürer malen nun Portraits von individuellen Menschen.

Auch der Lebensstil vieler Pfarrer und Bischöfe findet Kritik: finanzielles Gebaren, Leben in Saus und Braus, sexuelle Eskapaden nehmen den Geistlichen Vertrauen. Zugleich treiben schreckliche Seuchen seit 1350 die Menschen um, ganze Landstriche werden entvölkert. Überall droht der Tod. Was folgt dann? Sind die Seuchen etwas anderes als Gottes furchtbares Gericht? Können die Pfarrer einer fragwürdigen Kirche überhaupt helfen? Wie sollen wir Sünder vor Gott treten? 

Anlass

An dieser Frage verzweifelt auch Martin Luder aus Eisleben. Die Eltern haben es als Besitzer einen kleinen Bergbauunternehmens zu einigem Wohlstand gebracht, ermöglichen ihrem Sohn eine gute Bildung. Schließlich studiert er in Erfurt, er soll Jurist werden. Als Unternehmer kann man einen Juristen gut gebrauchen. Darüber hinaus bietet diese Studienabschluss hervorragende Aufstiegsmöglichkeiten im Dienst von Fürsten. 

Aber Martin Luder treibt die Angst vor Gottes Gericht um. Verzweifelt sucht er einen „gnädigen Gott“. Als während eines Gewitters ein Blitz neben ihm einschlägt, gelobt er Mönch zu werden. Für Eltern und Freunde völlig überraschend tritt er in ein Kloster ein. Durch diesen Schritt erhofft er sich Heilssicherheit. Aber seine Not endet nicht, auch intensive Seelsorge bleibt erfolglos.

Während er in seinem Orden rasch aufsteigt, Theologie studiert und sogar als Professor arbeiten darf, kann er die Angst vor Gott nicht überwinden. Verzweifelt forscht er in der Bibel, bis er eine umstürzende Entdeckung macht., als er sich wohl 1518 auf eine Vorlesung vorbereitet und die Bibel studiert. 

Parallel zu seinen persönlichen Sorgen nimmt er als Seelsorger und Professor am Ablasshandel Anstoß und lädt am 31.10.1517 (ein Tag vor Allerheiligen) zu einer akademischen Disputation ein. Ist der Erwerb von Ablass überhaupt aus der Schrift zu begründen? Stört der Verkauf nicht die Seelsorge in der Gemeinde? In Rom wird man erstmals aufmerksam auf den unbekannten Mönch im fernen und kleinen Wittenberg mit seiner neuen Universität.

Vision

Da erbarmte sich Gott meiner. Unablässig sann ich Tag und Nacht, bis ich auf den Zusammenhang der Worte merkte, nämlich: Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbar, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt seines Glaubens [Röm 1,17].Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als solche Gerechtigkeit zu begreifen, durch die der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt, d.h. also aus Glauben, und merkte, dass dies so zu verstehen sei: durch das Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbar, nämlich die so genannte passive, d.h. die, durch die uns Gott aus Gnaden und Barmherzigkeit rechtfertigt durch den Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus Glauben. Nun fühlte ich mich ganz und gar neu geboren und durch offene Pforten in das Paradies selbst eintreten. Da zeigte sich mir sogleich die ganze Schrift von einer anderen Seite. Von daher durchlief ich die Schrift, wie ich sie im Gedächtnis hatte, und las auch in anderen Ausdrücken die gleiche Struktur, wie „das Werk Gottes“, d.h. was Gott in uns wirkt. Luthers Rückblick auf seine reformatorische Entdeckung zit. nach KThGQ III, 209 f.

Diese Entdeckung verändert sein Leben vollkommen. Er ist nun nicht mehr der Getriebene und Verängstigte, sondern der von Gott Geliebte. Fortan ändert er die Schreibweise seines Namens von Luder in Luther (nach grch. eleutherios – der Befreite). Man kann hier von einem Paradigmenwechsel sprechen, denn es beginnt ein Prozess, der die Beziehung der Menschen zu Gott von Grund auf verändert.

Die Menschen können und müssen sich nicht selber durch gute Werke vor Gott rechtfertigen, sie dürfen sich als Kinder Gottes seiner Barmherzigkeit anvertrauen und sich das Heil schenken lassen. Gott rechtfertigt den Glaubenden aus Gnaden. Jesus hat am Kreuz die Sünde auf sich genommen, der Glaubende legt die fremde Gerechtigkeit Jesu an, dieser Wechsel verändert alles. Auch die Frömmigkeit. Aus erfahrener Barmherzigkeit tut der Glaubende gute Werke. 

Als Exeget gründet Luther alle theologischen Untersuchungen auf die Bibel, der autoritativen Quelle des Christentums. Damit erscheint er als „moderner Wissenschaftler“, der nach dem Grundsatz der Humanisten die ältesten Quellen („zurück zu den Quellen“) befragt.

Handlungsmuster

Natürlich ist das Echo geteilt. Viele Gelehrte begrüßen begeistert Luthers Programm: ein liebender Gott ist populärer als ein strafender. Dass man sein Heil durch Werke nicht verdienen kann, entlastet viele Menschen ganz praktisch. Seine Anfragen an den Ablass finden auch Zustimmung bei den Landesherren, die den Abfluss der umfangreichen Ablassgelder nach Rom beklagen, weil so die eigene Wirtschaft nicht davon profitiert, während in Rom die Bauwirtschaft floriert.

Aber manche fragen auch: Kann ein kleiner Mönch in der deutschen Provinz wirklich Recht haben? So entsteht theologischer Streit. Luther wird im April 1518 von seinem Orden nach Heidelberg vorgeladen, wo er seine Entdeckungen vorträgt und diskutiert. Die jüngeren Ordenstheologen (Brenz, Bucer) sind begeistert. In Rom eröffnet man im Herbst einen Ketzerprozess gegen ihn. Weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Rom reisen kann, trifft er im Oktober Kardinal Cajetan in Augsburg. Cajetan wie Luther erreichen nichts: Luther argumentiert von der Bibel, Cajetan sucht die Schlüsselgewalt des Papstes zu sichern.

In Leipzig veranstaltet die Universität 1519 eine Disputation  mit Professor Eck. Luthers Kollege Karlstadt soll die Auseinandersetzung führen, denn für Luther wird es brenzlig. Andere wurden für weniger angeklagt und verbrannt. Eck ist ein sehr geschickter Redner, so dass schließlich doch Luther antritt. Dabei lässt er sich dazu verleiten zu sagen, dass Konzile irren können. Mit dieser Aussage stellt er die Dogmen der Kirche in Frage. Der Ausschluss aus der Kirche folgt auf dem Fuße. Luther ist „weg vom Fenster“. Im Juni 1520 kommt die Bannandrohung, der letzte Aufruf zum Widerruf.

Luther fühlt sich bald als von Gott berufener Prophet, der seine Entdeckung in die Welt ruft. Dazu nutzt er gleichsam sofort alle Möglichkeiten seiner Zeit, beinahe über Nacht wird aus dem „wissenschaftlichen Theologen“ ein theologischer Publizist, der nun nicht wie gewöhnlich die lateinische Gelehrtensprache, sondern die Volkssprache nutzt, um seine Botschaft ins Volk zu tragen. Nach der Phase wissenschaftlicher Diskussion (95 Thesen zum Ablass, Disputationen in Leipzig und Heidelberg) wendet er sich an die breite Öffentlichkeit. Von Schrift zu Schrift entwickelt er seine reformatorische Theologie.

Und auch Gott zieht seine Fäden. Luthers Landesherr will seinen berühmten Theologen nicht einfach aufgeben, durch ihn hat die neue, aber kleine Universität Wittenberg Zulauf. Also erwirken seine Diplomaten, dass sich Luther 1521 vor dem Reichstag in Worms verteidigen darf. Er erhält freies Geleit und zieht mit großen Ängsten dorthin.

Der Kaiser fordert den Widerruf des Mönchleins, Luther beharrt auf der Wahrheit der Schrift. Juristen seines Landesherren beraten Luther intensiv. Verschiedene Fürsten und Ritter bieten ihm ihren Schutz an, angeblich steht nahe Worms eine Eingreiftruppe bereit, um Luther herauszuhauen, wenn der Kaiser sein Versprechen nicht hält.

Aber Luther lehnt Gewalt für das Evangelium ab. Darauf liegt kein Segen, denn Gott allein sorgt für sein Wort – und seine Leute. Dann hält er die berühmteste Rede der Neuzeit.

Luther rechtfertigt sich in Worms geschickt, er ist aber zum Widerruf nicht bereit: Seine Predigten seien schriftgemäß, seine kritischen Schriften zu kirchlichen Missbräuchen wie auch seine akademischen Schriften beugten sich gerne dem Wort Gottes und der Vernunft, aber weder den Konzilien noch den Päpsten. Er weiß sich gefangen in seinem Gewissen am Wort Gottes, deshalb kann er nicht widerrufen. „Gott helfe mir! Amen.“

Damit macht er gewaltigen Eindruck, die Anwesenden sind in den Bann geschlagen, die Rede wird veröffentlicht und macht Luther zum öffentlichen Großereignis seiner Zeit. Eine Welle der Lutherbegeisterung durchläuft das Land. Nachdem Luther Worms verlassen hat, lässt ihn sein Landesherr heimlich in Sicherheit auf die Wartburg bringen, eine der stärksten Festungen des Landes. Nachdem er dort sicher ist, erlässt der Kaiser die Reichsacht gegen Luther, da dieser nicht widerrufen hat. Pikanter Weise hat der Kaiser das Edikt in allen Landen veröffentlicht, aber nie in Kursachen, dort besaß es keine Rechtskraft. Auch der Kaiser hat mit dem Ketzer seinen Frieden gemacht.

Auf der Wartburg lebt Luther als Junker Jörg, nur der Kommandant weiß, wer da eingezogen ist. Luther übersetzt in 11 Wochen das Neue Testament ins Deutsche. Bald wird es  – ohne Angabe des Verfassers in Wittenberg gedruckt. Die Übersetzung wird ein Kassenschlager – und alle ahnen, wer hier am Werk war. 1522 kehrt Luther nach Wittenberg zurück, arbeitet als Professor und treibt die Reformation voran. Unermüdlich schreibt er Bücher, übersetzt das Alte Testament und sucht seine Bibelübersetzung immer neu zu verbessern.

Bald wird Luthers Portrait bekannt, seine Schriften werden „Kassenschlager“ für die Verlage. Luthers Sache wird zum ersten großen Medienereignis der Moderne. Robust und polemisch setzt er sich mit seinen Gegnern auseinander und stellt seine Position dar. Als radikaler Papstgegner kämpft er für eine neue Organisation der Gesamtkirche, die aber durch den Bann und die Reichsacht immer unwahrscheinlicher wird. Seit 1526 entstehen evangelische Kirchen mit einem eigenen Bekenntnis und einer eigenen Organisation – ohne Papst und Bischöfe.

Immer mehr zeigt sich Luthers Selbstverständnis als deutscher Prophet, der selbstbewusst und zuversichtlich seine Theologie entwickelt. Ebenfalls fassbar wird in dieser Zeit sein pessimistisches, negatives Menschenbild des durch den Sündenfall verdorbenen Menschen. Aber die Sünde versteht er als Weg zu Gott, denn durch den Glauben kann er Gottes Gnade erfassen und vor Gott als gerecht dastehen.

Würdigung

Martin Luther gilt als großer Wegbereiter der Neuzeit. In vielem wurzelt er noch in Vorstellungen des Mittelalters, aber an zentralen Stellen wagt er Neues. Namentlich sein Einsatz für die Freiheit des Gewissens und die Wahrheit der Bibel über menschlichen Überlegungen, macht seine Bedeutung aus.

Als Luther seine reformatorische Entdeckung veröffentlicht, befreit er sich und eine ganze Generation von schrecklicher Angst. Das Verhältnis zu Gott wird neu entdeckt: Gott ist nicht mehr Gott an sich, sondern Gott für mich. Die persönliche Beziehung  zu Gott verdrängt die religiöse Weisheit über Gott! Statt Angst wird die Liebe zum Grundgefühl der Gottesbeziehung.

Der wahrhaft Glaubende muss nun nicht mehr die Welt verlassen und in ein Kloster ein-treten, um vor Gott zu bestehen. Vielmehr kann der Christ in seinem Alltag seinem Gott dienen: Die Arbeit der Magd, die die Küche fegt, und die des Bauern oder Handwerkers sind nicht weniger gut als die eines Pfarrers. Sie alle dienen dem Nächsten durch ihre unterschiedlichen Gaben und ehren damit ihren Schöpfer, der seine Geschöpfe herzlich liebt. Jeder Beruf wird so zum Bewährungsfeld des Christen, wie alle Reformatoren be-tonen. Die Welt selbst wird zum spirituellen Übungsfeld. Das hat ganz praktische Aus-wirkungen für Beruf und Wirtschaftsordnung. Klöster gelten fortan als Orte der Werk-gerechtigkeit und damit als überholt. Tausende verlassen die Klöster, ergreifen einen bürgerlichen Beruf und heiraten.

Literaturhinweis: Schilling 2017: Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biografie.