Wirtschaft

Weltwirtschaftliche Perspektiven

Seit Anfang des 19. Jh. steigt der europäische Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Welt deutlich an, Indiens Anteil geht zurück, China stagniert: Hat Indien im 18. Jh. noch 23 %, so sinkt es auf 2 %, Chinas Anteil geht von 33 auf 7 %  zurück, Europa steigt auf 60 %, dazu kommen die USA mit 20 %. Eine erstaunliche Entwicklung!

China wird im 19. Jh. das Opfer des britischen Drogenhandels, 3.000 t Opium werden über Hongkong jährlich nach China gebracht, die Ware wird mit Silber bezahlt, das in Großbritannien und den USA das Handelsdefizit mit Asiens beendet. Nach dem 2. Opiumkrieg muss China den Opiumverkauf legalisieren, das führt neben Amerikanern und Briten neue Handelsnationen auf den Plan, seit 1870 wird aber auch in China selbst Opium hergestellt – zu Lasten der Nahrungsmittelversorgung. So rechnet man am Ende des 19. Jh. mit 10 % Konsumenten im Land, das entspricht 40 Mio. Chinesen oder 95 %  des Weltgesamtverbrauches.

Britische Industrialisierung

Mit dem Beginn der englischen Industrialisierung der Montanindustrie im 18. Jh. entwickelt sich seit dem Ende des Jahrhunderts die Industrialisierung in der Textilindustrie weiter, britische Baumwolltextilien werden weltweit gefragte Produkte. Auch der Welthandel ist fest in britischer Hand. Dazu erfinden Briten auch diverse moderne Waffen. So wird Großbritannien zum Vorbild für Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Russland.

Nach dem Niedergang der indischen Textilindustrie und der folgenden Deindustrialisierung des Landes produziert man dort landwirtschaftliche Produkte, vor allem Baumwolle, Indigo, Rohrzucker und Mohn (für die Opium-Gewinnung). Viele Inder dienen als Soldaten in der britischen Armee, die auch von der „East India Company“ unterhalten wird. Die mittels der englischen Industrie erzeugten Textilien unterbieten den indischen Preis, für England lautet nun die Parole „Freihandel“. Indien kann künftig seine Produkte nicht mehr kostendeckend verkaufen und muss seine Industrie aufgeben, auf dem Subkontinent setzt so eine Deindustrialisierung ein. Stattdessen baut man Baumwolle an und exportiert die Rohstoffe nach England, Afrika und Amerika.

Auch in Deutschland können viele Betriebe mit der aufkommenden industriellen Fertigung nicht mehr mithalten, besonders die Heimarbeiter im Bereich der Textilherstellung verarmen. Die billigen englischen Industrietextilien verdrängen die deutschen Handwerksprodukte. In Schlesien kommt es zu Aufständen der hungernden Bevölkerung. (Gerhart Hauptmann hat ihnen mit seinem Drama „Die Weber“ ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.)

Industrialisierung auf dem Kontinent

In Belgien beginnt früh der Aufbau einer Montanindustrie, langsam verbreiten sich neue Techniken nach Mitteleuropa, seit 1850 verläuft die Entwicklung geradezu stürmisch.  In Nordfrankreich und Flandern entsteht die Montanindustrie um Lüttich, Textilindustrien entstehen in Verviers, Aachen und Monschau. Textil- und Maschinenbau im Siegerland, im Wuppertal, am Oberrhein (zwischen Basel und Mühlhausen) um Berlin und Chemnitz, dazu in Böhmen und Mähren, Wien und Piemont.

Lokomotivfabrik Borsig

Deutschland folgt in der Industrialisierung auf dem Kontinent zunächst Belgien und Frankreich: Ende des 18. Jh. werden im Rheinland und Sachsen die ersten Fabriken eingerichtet, noch bleibt Mitteleuropas Gewerbe handwerklich oder vor-industriell bestimmt. Die Industrialisierung beginnt dann an der Ruhr und in Schlesien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zunächst werden englisches Kapital, englische Technologien und englische Fachkräfte auf dem Kontinent tätig. Mit den großen Reformen wird das Land modernisiert, durch den Zollverein 1834 der Warenverkehr erleichtert. Dazu gehört seit 1838 auch die Festlegung des Wertverhältnisses der deutschen Münzen (Taler, Gulden, Mark). Seit der Mitte des 19. Jh. werden die progressiven industriellen Techniken übernommen (Eisenbahn, Bergbau, Maschinenbau) und ausgebaut. Der Eisenbahnbau stellt dabei den Motor der Entwicklung.

Die Industriezentren entstehen dort, wo die Bodenschätze gefördert werden. In Deutschland sind besonders Schlesien und das Ruhrgebiet begünstigt, beide Regionen gehören zu Preußen und führen zu dessen Aufstieg im Reich. Als Arbeiter für die neuen Fabriken stehen sowohl die verarmten Bauern als auch die arbeitslosen Handwerker zur Verfügung. Durch das hohe Angebot an Arbeitern können die Unternehmer die Löhne geradezu beliebig nach unten korrigieren. Da die Männer nicht genügend verdienen, müssen die Frauen und Kinder auch arbeiten, zu noch schlechteren Löhnen. Auch die Arbeitsbedingungen sind hart: 17 Stunden Arbeitszeit sind anfangs keine Seltenheit, da die Maschinen rund um die Uhr laufen, bürgern sich 12-Stunden-Schichten ein. Der Arbeitsschutz ist kaum entwickelt, nach Unfällen werden die Arbeiter arbeitslos, Kranken- und Rentenversicherung gibt es noch nicht. So wandeln sich die Lebensverhältnisse drastisch.

In diese Industrieregionen ziehen Arbeitssuchende, sie kommen auch über die deutsche Sprachgrenze aus Polen. Da die Arbeiter in den neuen Industriezentren zugezogen sind, leben sie sozial entwurzelt. Aus dem Agrarland wird ein moderner Staat. Die industrielle Entwicklung kann recht gut anhand der industriellen Produktion beschrieben werden.

Industrielle Produktion zwischen 1780 und 1888 (in Mio. engl. Pfund)

1780 1800 1820 1840 1860 1888
Großbritannien 177 230 290 387 577 820
Frankreich 147 190 220 264 380 485
Deutschland 50 60 85 150 310 583
Russland 10 15 20 40 155 363
Österreich-Ungarn 30 50 80 142 200 253
USA 15 25 55 96 392 1443

Die Tabelle zeigt zum einen die klare Führung Großbritanniens in der industriellen Entwicklung, dem Frankreich anfangs noch beinahe ebenbürtig ist, seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt es sich deutlich langsamer. Seit 1842 errichtet Frankreich ein umfassendes Eisenbahnnetz, womit dort die Industrialisierung anläuft. Erschwert wird die Entwicklung durch den Mangel an Kohlevorkommen, die es nur im Elsass und jenseits der Grenzen an Saar und Ruhr gibt. In Russland gibt es größte natürliche Reichtümer, aber das Land ist sozial und technisch rückständig. Um das Land vor einem Abstieg zu bewahren, beginnt man um die Wende zum 20. Jh. auch hier mit dem Eisenbahnbau und dem Aufbau einer Schwerindustrie.

Nach der Jahrhundertmitte holen Deutschland und Österreich-Ungarn Frankreich ein. Hinter dieser europäischen Konkurrenz wachsen die USA in der 2. Jahrhunderthälfte am meisten. Gegen Ende des Jahrhunderts sind sie zur führenden Industrienation geworden.

USA

In den USA beginnt um 1830 der Eisenbahnbau, 1870 steht die erste Trans-Amerika-Trasse, die Nachfrage nach Eisen, Stahl und Lokomotiven bringt die Industrialisierung im Norden des Landes voran. Durch ein Kriegsschiff der USA wird Mitte des 19. Jh. die Öffnung Japans für den Handel erzwungen, da hier Vorkommen an Kohle und Eisen gänzlich fehlen, beginnt man zunächst mit dem Export von Baumwolltextilien und Seide, um von den Importerlösen Kohle und Eisen zu importieren. Damit baut man eine exportorientierte Eisen- und Schwerindustrie auf, mit der auch modernste Waffen gebaut werden. Ende des Jahrhunderts gelingt ein militärischer Sieg gegen China (1895) und kaum 10 Jahre später gegen Russland. Damit siegt erstmals ein asiatisches Land gegen ein europäisches.

Dem Vorrang Großbritannien entspricht der Grad der Verstädterung: bereits 1850 wohnen 50 %  der Einwohner in den Städten, in Deutschland sind es um 1900 so viele, in den USA 1920 und in Japan 1930.

Technischen Erfindungen.

Zwischen 1750 und 1850 werden die meisten Erfindungen in England (z.B. 1735 Koks aus Steinkohle Darby, 1769 Dampfmaschine Watt, 1767 Spinnmaschine Hargreaves, 1785 Webstuhl Cartwright, 1814 Dampflokomotive Stephenson) und Frankreich (Musterwebstuhl Jacquards) gemacht.

Eisenbahn als Motor der Entwicklung

Seit der Mitte des Jahrhunderts treten die deutschen Erfinder auf den Plan (z.B. 1840 Agrikulturchemie Liebig, 1861 Telefon Reis, 1866 Dynamomaschine Siemens, 1876 Bezinmotor Otto, 1876 Ammoniak-Kältemaschine Linde, 1879 Elektrische Lokomotive Siemens, 1885 Auto Benz, 1897 Dieselmotor Diesel, 1900 Luftschiff Zeppelin). In Deutschland wird die enge Verbindung von Forschung und Universität bedeutsam.

In den USA erfindet Edison 1879 die Glühbirne und die Gebr. Wrigth bauen das erste Motorflugzeug.