Durch die große industrielle Revolution nimmt die Güterproduktion enorm zu und manche Menschen werden dadurch wohlhabend, auf der anderen Seite verarmen Millionen. Insofern in England die Industrialisierung beginnt, gibt es hier auch zuerst eine Reihe von Schatten. Mitte des 19. Jh. stellen die Arbeiter 25 % der Bevölkerung, die Zahl steigt bald auf die Hälfte der Bevölkerung an. Die englische Mittelschicht sieht auf die breite Not der Arbeiter selbstgerecht herab. Millionen Arbeiter werden arbeitslos, hungern, müssen ihre Kinder zur Arbeit schicken, leiden an unzähligen Krankheiten und müssen in erbärmlichen Wohnungen leben. Die Menschen ohne Arbeit werden in Arbeitshäuser eingewiesen, in denen die Menschen wie in Gefängnissen leben: Männer, Frauen und Kinder werden kaum ausreichend versorgt, erkranken durch die schlechten hygienischen Verhältnisse. Wer nicht seine Arbeitsleistung erbringt, wird mit Verpflegungsentzug bestraft, eine Todesspirale dreht sich für die Unglücklichen. Obgleich ganze Familien eingewiesen werden, werden Ehegatten und Kinder getrennt. Wer sich in das System einordnet, darf seine Angehörigen zur Belohnung von Zeit zu Zeit sehen.
Die Einkünfte sind in Europa z. T. sehr unterschiedlich, zur Illustration Beispiele aus Deutschland. Dort verdienen die Arbeiter durchschnittlich zwischen 300 bis 600 Mark jährlich (2.400-4.800 Euro), ein gut ausgebildeter Mechaniker in Elberfeld kann auch auf 1.500 Mark (12.000 Euro) kommen. Natürlich bleiben diese Zahlen blass, wenn wir nicht sehen, was man sich dafür kaufen kann. Eine vierköpfige Arbeiterfamilie benötigt für Nahrung, Kleidung, Miete u. ä. zwischen 400 Mark auf dem Land und 800 Mark in der Stadt. Die unteren Gehaltsgruppen haben weniger verdient als sie zum Leben benötigen! Hier wird deutlich, warum Ehefrauen und Kinder mitarbeiten müssen und dass viele durch ihre Arbeit nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können.[1]
Immerhin gibt es in allen Konfessionen Menschen, die das Elend der Menschen sehen und sich für die Armen einsetzen. Zu den grundsätzlichen Systemkritikern gehört damals etwa der Bischof von Ketteler. Zu den praktischen Helfern auf römisch-katholischer Seite zählt der Priester Adolf Kolping (1813-1865), der 1849 in Köln den ersten Gesellenverein gegründet hat.
Unter den Evangelischen nehmen Johann Hinrich Wichern und Baron von Kottwitz eine Schlüsselrolle ein. Zu den Theoretikern gehört später aber auch Adolf Stoecker. Praktische Hilfe kommt aber auch durch die Einrichtungen der so genannten Rettungshäuser (Falk, Recke-Volmarstein). Gerade in den Kreisen der Erweckung entstehen eine ganze Reihe private Initiativen als diakonische Arbeit. Vielfach lautet das Motiv: „Gerettet-sein gibt Retter-Sinn“).
[1] Die Umrechung von Geldwerten ist ausgesprochen problematisch, weshalb in der Regel darauf verzichtet wird. Dadurch bleiben die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse aber unklar. Daher versuchen wir hier wenigstens Tendenzen anzudeuten.