Die osteuropäische Tiefebene zeigt drei Vegetationszonen: die Tundra im Nordosten, den Waldgürtel in der Mitte, die Steppe im Süden – sie ist mit Zentralasien verbunden. Die östliche Slawen breiten sich innerhalb des Waldgürtels aus und vermieden die Steppe, wo es nur geht. Sie waren Ackerbauern, die den Nomaden unterlegen sind.
Während die Goten der Völkerwanderungszeit nach Süden zu den reichen Griechen am Schwarzen Meer ziehen, breiten sich die Ostslawen in den unwirtlichen Nordosten aus. Die Waldzone wird im Süden von Kiew begrenz. Dort lebten wenige Menschen, deshalb kann die Wirtschaft extensiv betrieben werden. Kulturell begünstigt das Pioniere und Pfadpfinder, die sich zu kleinen freiwilligen Gemeinschaften zusammenschließen, um die schwere Rodungsarbeit zu leisten (Neander 1988: 13). Leicht konnten Einzelne auch als Fischer oder Jäger ihre Nahrung ergänzen und die Gemeinschaft wieder verlassen. Neander meint, dass diese Siedlungs- und Lebensweise sowohl Individualismus als auch Gemeinschaftsbedürfnis begünstigt hat.
In späteren Epochen sind russische Fürsten rigoros gegen solche Einstellungen vorgegangen, was oft zu autokratischen Regierungsformen geführt hat.
Typisch für die russische Geschichte ist die Suche nach neuem Land, die Menschen lieben es, neues Ackerland unter den Pflug zu nehmen. Jahrhundertelang dringen Russen so in immer neue Räume des Ostens vor, ohne staatliche Lenkung und Leitung.
Neben den genannten Vegetationszonen wird Russland durch die großen Flüsse gegliedert, die den Norden mit dem Süden verbinden. An ihren Ufern ziehen die Siedler voran, auf den Flüssen werden Waren transportiert. Von der Ostsee führt eine Handelsstraße auf dem Wasser zum Dnjpr bis zum Schwarzen Meer. Ein andere führt von der Ostsee zum Quellgebiet der Wolga und über sie bis zum Kaspischen Meer. Auf beiden Wasserstraßen bewegen sich Nordgermanen nach Süden und gründen Siedlungen an wichtigen Plätzen, um ihren Handel zu schützen. Berühmt sind Novgorod und Kiew.
Umstritten ist heute, ob die nordgermanischen Handelsvölker hinter der ersten russischen Staatsbildung stehen. Die Waräger (so nennt man diese Nordgermanen) werden in den Quellen als „rus“ bezeichnet. Das könnte sich aus einer finnischen Bezeichnung für Schweden („ruotsi“) herleiten. In Byzanz werden Germanen aus Russland jedenfalls als „Rhos“ bezeichnet. Waräger haben sicher Novgorod wie Kiew im 9. Jh beherrscht, ihre Fürsten tragen Namen, die leicht mit germanischen Namen in Verbindung gebracht werden können (Oleg-Helgi, Olga-Helga). Offenbar zeigt sich so schon bald eine slawisierte germanische Führung. Die ansässigen Fürsten holen sich ihre Frauen noch jahrhundertelang aus Nordeuropa. Diese engen Verbindung reißen schließlich im 12. Jh ab. Die zähe Staatsbildung des ersten Kiewer Reiches darf man vermutlich als Gemeinschaftsleistung von Slawen und Germanen begreifen.
Im 10. Jh sucht man Anschluss an die christliche Kulturwelt, über die Krim kommt die Christianisierung aus der Ostkirche voran, 944 ist eine Kirche in Kiew belegt. Während die westliche Kirche neben den Kirchenvätern auch andere antike Quellen aufnehmen und weitergeben, nimmt man in Russland nur die Kirchenväter auf – die Antike bleibt ihnen so im Gegensatz zu Westeuropa fremd.
Große Bedeutung gewinnt in der Kirche von Anfang an das Mönchtum, für das Vorankommen der Mission soll das Vorbild durch die Mönche stärker als Predigt und Liturgie gewirkt haben. Der Mönch als Überwinder des natürlichen triebhaften Menschen hat starke Wirkung.
In der russischen Gesellschaft spielt die Kirche ein große Rolle, gilt sie doch als Hüterin der Ordnung.
Literatur
Irene Neander 1988: Russische Geschichte in Grundzüen. Darmstadt WBG