Noch in der Antike hat die Gemeinden in Rom ein besonderes Ansehen im Westen. Papst Leo I. (448-461) stellt am Ende der Epoche geradezu einen Führungsanspruch über die Gesamtkirche. Aber während der Völkerstürme wird das Papstamt durch regionale Aufgaben herausgefordert. Während der Gotenherrschaft (493-55) geht der Einfluss Roms in den Gebieten nördlich der Alpen, in Westeuropa und in Nordafrika zurück. Wie andernorts auch entwickelt sich die bischöfliche Verwaltung auch in Rom zu einem Ordnungsfaktor, der mit den Zusammenbrüchen und Kriegsfolgen zurecht kommen muss. Papst Gregor I. (590-604) baut dann das Papstamt tatkräftig aus. Zunächst einmal ordnet er die Kirchengüter in Italien neu und verschafft so der Kirche finanzielle Mittel für kirchliche Dienste und die Armenfürsorge. Sein Einsatz für die Mission der Angel-Sachsen erschließt den Päpsten eine ganze Region neu.
Bereits in der Alten Kirche hat sich das Bischofsamt zur Gemeindeleitung entwickelt: Der Bischof ist der Seelsorger seiner Gemeinde, allein seine Taufe und sein Abendmahl sind gültig. Seit dem 3. Jh. unterstehen ihm Gottesdienst, Kirchenzucht und Armenfürsorge. Üblicherweise residieren die Bischöfe in den Städten. Nachdem auch die Landbevölkerung christlich geworden ist, werden Priester auf das Land geschickt, um dort die Seelsorge zu übernehmen. Die Bischöfe delegieren auf diese Weise ihre Aufgaben an Landgeistliche. Allmählich nehmen diese Landgeistlichen ihren Wohnsitz auf dem Lande, unterstehen allerdings weiterhin dem Bischof der Stadtgemeinde. In den Missionsgebieten jenseits der römischen Grenzen gibt es keine Städte. Aus diesem Grund sind die Bistümer groß, und Landpfarreien werden zur Regel.
Seit dem frühen Mittelalter nimmt die Bedeutung der Landpfarreien stetig zu, zwar sind sie der Autorität der Bischöfe unterstellt, können aber selbständig agieren. Seit Bonifatius findet sich die Bezeichnung „Parochie“ für den Zuständigkeitsbereich eines Pfarrers. Durch die Errichtung der Eigenkirchen nimmt die praktische Selbständigkeit der Pfarreien zu, die Zuordnung zu einem Bistum bleibt erhalten. Aufgrund der großen Entfernungen und den schlechten Witterungsbedingungen werden immer neue Landpfarreien errichtet oder Filialgemeinden aufgebaut.
Nachdem sich die Völker dem Christentum zugewendet haben, beginnt die eigentliche Christianisierung: Die Priesterausbildung, der Kirchenbau, die Beschaffung liturgischer Geräte und biblischer Texte sowie der Aufbau kirchlicher Strukturen fordern die Menschen heraus. Sehr oft übernehmen Fürsten und Adlige die nötigen Kosten, da sie dies als ihre ureigene Verantwortung als politische Leiter sehen. Aber sehr früh dürften sie auch erkannt haben, dass die Kirche und ihre Mitarbeiter den Aufbau einer staatlichen Verwaltung fördern. Dennoch haben wir in den neuen Missionsgebieten mit sehr langen Übergangszeiten zu rechnen, da die äußerlichen Verhältnisse eine kontinuierliche Arbeit erschwert haben: Dies hat zur Folge, dass sich das Evangelium sehr langsam verbreitet.
Während der Mission baut Bonifatius ein Netz von Klöstern als Missionszentren auf, die auch der Pfarrorganisation dienen. Die Priester werden, so gut es geht, in den Klosterschulen ausgebildet, um die Grundlagen des christlichen Glaubens vermitteln zu können. Dazu werden neue Bistümer nötig, die der Kirchenstruktur Rückhalt geben sollen. Um diese gründen zu können, lässt Bonifatius sich zum Erzbischof ernennen.
Dieses Bemühen wird von einer Reformsynode 742/743 unterstützt, die die kirchliche Struktur neu aufbauen möchte. Der politische Herrscher sitzt der Versammlung vor; die Tagung findet im Beisein weltlicher und geistlicher Größen statt. Dabei kommt dem Erzbischof Bonifatius eine führende Rolle zu.
Reformsynode 742 (Concilium Germanicum)
[…] Und wir haben nach dem Rat der Priester und meiner Großen in den Städten Bischöfe eingesetzt und über sie als Erzbischof den Bonifatius bestellt, den Abgesandten des heiligen Petrus. Wir haben beschlossen, jährlich eine Synode zu versammeln, damit in unserem Beisein die Beschlüsse und Rechtsordnungen der Kirche erneuert und die Ordnung in der Christenheit verbessert wird. Und das entzogene Vermögen der Kirchen haben wir den Kirchen zurückgegeben. Falschen Priestern und ehebrecherischen oder unzüchtigen Diakonen und Klerikern haben wir ihre kirchlichen Pfründen entzogen, sie abgesetzt und zur Buße genötigt. Allen Dienern Gottes haben wir es untersagt, Waffen zu tragen, zu kämpfen, ins Feld und gegen den Feind zu ziehen, außer denen, die wegen des Gottesdiensts […] hierzu ausersehen sind. […] Wir haben auch allen Dienern Gottes das Jagen und Herumstreifen in den Wäldern mit Hunden untersagt sowie das Halten von Habichten und Falken. Wir haben […] verordnet, dass jeder Priester innerhalb seines Bezirks dem Bischof […] untergeordnet sein soll. Und immer in der Fastenzeit soll er dem Bischof einen Rechenschaftsbericht über seine Amtsführung vorlegen, über die Taufen, die katholische Glaubenslehre und die Gebets- und Messordnung […]. Wir haben bestimmt, […] keine aus der Fremde, gleichgültig woher, gekommenen Priester und Bischöfe vor der Billigung durch die Synode zum Kirchendienst zuzulassen. Wir haben beschlossen […], dass jeder Bischof in seinem Bezirk unter Mitwirkung des Grafen, der der Beschützer der Kirche ist, dafür zu sorgen hat, dass das Volk Gottes nichts Heidnisches treibe, sondern allen Unflat des Heidentums ablege und von sich weise, als da sind Totenopfer, Losdeuterei, Zauberei, Amulette, Wahrsagerei, Beschwörungen, Schlachtopfer, die von törichten Menschen nach heidnischem Brauch neben den Kirchen im Namen der heiligen Märtyrer und Bekenner vorgenommen werden, womit sie den Zorn Gottes und seiner Heiligen herausfordern, oder jene gotteslästerlichen Feuer, und überhaupt sollen sie jeglichen heidnischen Brauch, welcher Art er auch sei, gewissenhaft unterbinden. Wir haben ebenso beschlossen, dass jeder Diener Gottes und jede Magd Christi, die sich der Unzucht schuldig machen, in Kerkerhaft bei Wasser und Brot Buße tun sollen[…] (zit. nach KThGQ II, 24 f.).
Liest man die Beschlüsse der Synode aufmerksam, erhält man ein eindrucksvolles Bild der kirchlichen Lage im Frankenreich: Die kirchliche Struktur ist in einem eher desolaten Zustand, die kirchlichen Amtsträger gehen allen möglichen Beschäftigungen nach, selbst das Heidentum lebt weiter. Dagegen soll nun vorgegangen werden: Die Kirchenstrukturen sowie das Leben der Mönche und Kleriker werden neu geordnet. Hand in Hand arbeiten die Bischöfe mit den politischen Führern zusammen.
Zunächst soll der Zusammenhalt gefördert werden, indem man sich regelmäßig zu Synoden trifft und austauscht. So kann die Kirche einheitlich geleitet und ausgebaut werden. Die Zuständigkeiten der Bischöfe werden klar geregelt, die Priester haben ihnen jährlich Rechenschaft zu geben. Geistliche sollen ihre Zeit nicht mit Jagen oder auf Kriegszügen verbringen, vielmehr sollen sie ihren gemeindlichen Aufgaben nachkommen. Die Güter der Kirchen werden geschützt, wo nötig, sind sie zurückzugeben. Pfründen sind Einkünfte, die z. B. einem Pfarrer den Lebensunterhalt ermöglichen. Darüber hinaus wird dem bestehenden Heidentum der Kampf angesagt. Graf und Bischof sollen gemeinsam einschreiten.
Das Programm der Reformsynode verfolgt energisch und konkret das Ziel der Reform. Aber die Beschlüsse stoßen auch auf energischen Widerstand der Bischöfe und Priester, denn zu groß sind die eingeforderten Änderungen der Lebensgewohnheiten von Menschen, die in den kirchlichen Ämtern eher ein Auskommen als eine Lebensaufgabe gesehen haben. Auch einige der adligen Herren arbeiten den Vorstellungen des Bonifatius entgegen, denn die Rückgabe der entfremdeten Kirchengüter wird nicht allerorts mitgetragen. Durchsetzbar sind die Beschlüsse der Reformsynode nur dort, wo die staatlichen Organe sie umsetzen wollen. Lesen wir die Beschlüsse der Folgejahre, so wird deutlich, dass einige Beschlüsse immer wieder neu gefasst werden. Sie erinnern uns an Forderungen von modernen Interessensvertretungen und Parteien, die immer wieder erhoben werden. Mitunter braucht es lange, bis sie auch praktisch umgesetzt werden. Solch einen langen Atem muss auch Bonifatius aufbringen. Manche Bischöfe ziehen mit, sodass die Reform unter Karl dem Großen vorbereitet wird. An einen geistlichen Aufbruch erinnern die Quellen nicht!
In der Zeit Karls des Großen (768–814) wird auf die Ausbildung der Pfarrer besonderen Wert gelegt, die Dom- und Klosterschulen sollen sie ausbilden und ausreichend Literatur zur Verfügung stellen (z.B. Musterpredigten). Die Anforderungen sind mit einer modernen Pfarrerausbildung allerdings nicht vergleichbar. Als Mindestwissen legt eine Synode in Mainz 813 fest, dass jeder das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser zu beherrschen habe und den Festkalender kennen soll. Notfalls sollen Widerspenstige durch Fasten und andere Züchtigung zu diesen Kenntnissen gezwungen werden. Außerdem soll die (lateinische) Liturgie korrekt gehalten werden können, gepredigt werden darf in der Volkssprache. Als Hilfe für Prediger lässt Karl von dem Mönch Paulus Diaconus (etwa 730–etwa 799), eine Predigtsammlung zusammenstellen, die für das Frankenreich zum Musterbuch wird. Auch für eine einheitliche Lehre tritt der König immer wieder ein.
Karl der Große: Admonitio generalis (789)
Aber auch darauf müsst ihr sehen, geliebte und ehrwürdige Leiter der Kirchen Gottes, dass die Priester, die ihr in eure Parochien schickt, das Gott dienende Volk zu leiten und in den Kirchen zu predigen, dies recht und geziemend tun; und lasst sie nichts Neues und Unkanonisches nach eigenem Ermessen und den heiligen Schriften Widersprechendes erdichten und dem Volk predigen (zit. nach Rinn/Jüngst, 104).
Schließlich wird auf die Lebensführung der Priester Wert gelegt. Die Bischöfe werden zu regelmäßigen Visitationen angehalten. Da es nur wenige Bischofssitze gibt, werden zu ihrer Unterstützung sogenannte Chorbischöfe eingesetzt. In der Seelsorge spielt die Verbreitung der Privatbeichte neben der traditionellen Gemeindebuße eine zunehmende Rolle. Im persönlichen Gespräch kann der Christ seine Verfehlung beichten, der Priester spricht ihn von seiner Schuld frei und nennt die zu leistende Buße (Aufkommen der Bußbücher, s.u. S. 63). Diese Praxis kommt von den irischen Mönchen über die Angelsachsen auf den Kontinent. In der Volksfrömmigkeit blüht der Reliquien- und Heiligenkult.
Zwischenfazit: Insgesamt sehen wir ein anderes Bild von Gemeinde als in der Alten Kirche: Statt einem Zusammenschluss der „herausgerufenen“ Christen (griechisch ekklesia) gleichen die Gemeinden des frühen Mittelalters eher „Verwaltungseinheiten“, die äußerlich christlich sind und nach dem Herrn (griechisch kyrios) als „Kirche“ (von griechisch kyriake „zum Herrn gehörig“) bezeichnet werden. Die Ausbildung der Priester scheint mit dem Konfirmandenunterricht (Glaubensbekenntnis, Gebote, Vaterunser) mehr gemeinsam zu haben als mit einer soliden Ausbildung. Mühsam wird eine Struktur aufgebaut (Bischöfe, Klöster), die nicht aus einer „Bewegung“ erwächst und dieser Form geben soll, sondern die Struktur soll der inneren Durchdringung vorausgehen.
Auch viele Päpste sind bis zum 10. Jh. in einer schwierigen Situation, römische Adelsfamilien machen das Amt zum Spielball von Intrigen. Die neue Verbindung zu den deutschen Herrschern seit Otto I. (962 Kaiser) hebt den Papst dann wieder etwas über Rom hinaus, mach ihn aber zugleich zum obersten Reichsbischof der Deutschen.