Eine Lichtgestalt des 20. Jh. ist Albert Schweitzer – zunächst bekannter Theologe, der sich mit der Leben-Jesu-Forschung beschäftigt. Dann wird er Arzt, um im Urwald Afrikas Menschen zu helfen, denen damals niemand hilft. Schließlich entwirft der Urwaldarzt zwischen den Weltkriegen nicht nur eine Kulturkritik über Europa, sondern auch eine neue Ethik, die dieser Zivilisation eine neue Richtung weist: Ehrfurcht vor dem Leben.
Was heute viele erreicht hat, was heute viele bewegt hat er vor 100 Jahren gleichsam vorgemacht und mit seinem Leben bekräftigt.
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
Albert Schweitzer 2007: Kulturphilosophie: 308
Schweizer bricht aus seiner Zeit zu ganz neuen Ufern auf: Er verlässt seinen theologischen Lehrstuhl an der Universität und reist in eine lebensbedrohliche Arbeitsumgebung, um Menschen zu dienen. Nicht durch Bildung und Mission, sondern durch elementare medizinische Hilfeleistung wird Schweitzer wirksam – das hat Menschen schon zu seiner Zeit verwundert und fasziniert. Namentlich vor dem Hintergrund der furchtbaren Kriegsschäden zweier Weltkriege und des nationalsozialistischen Rassewahns leuchtet Schweitzer wie eine Fackel in der Dunkelheit eines Jahrhunderts hervor.
Die Wirkung Albert Schweitzers auf die Welt ist erstaunlich, sie beginnt in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg, als Schweitzer Europa bereist, Orgelkonzerte gibt und Vorträge über seine Arbeit in Afrika und seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben hält. Während des 2. Weltkriegs bleibt er in Afrika und bezieht klare Position für Humanität und gegen Nationalsozialismus und Rassenwahn. Nach dem Weltkrieg erhält er Einladungen aus aller Welt, 1954 kann er den Friedensnobelpreis (rückwirkend für 1952 verliehen) entgegennehmen. Er gilt in der Auseinandersetzung um die Atomwaffen quasi als moralische Autorität schlechthin, die sich aus Lambarene mit Radioansprachen in die Debatte einschaltet (1957 gegen Kernwaffenversuche, 1958 gegen die Atomgefahr).
Schweitzer ist als Meister der Selbstinszenierung ungeheuer modern, das macht ihn schon zu seinen Lebzeiten zum Mythos! Wie bekannt sind die Fotos und Zeichnungen, die heute weit verbreitet sind und sein prägnantes Gesicht zeigen. Schon der Spiegel meinte, er sei sein „bester Denkmalspfleger“ (Spiegel 52 (1960) S. 61). Nach seinem ersten Aufenthalt in Lambarene veröffentlicht er seinen Bericht „Zwischen Wasser und Urwald“, der sich weltweit verbreitet und das Bild vom Urwaldarzt formt. In seinen autobiografischen Berichten spürt man, wie er sich auch in dieser Rolle gefällt.
„Wie meine Gefühle beschreiben, wenn solch ein Armer (Kranker) gebracht wird! Ich bin ja der einzige, der hier helfen kann, auf Hunderte von Kilometern. Weil ich hier bin, weil meine Freunde mir die Mittel geben, ist er (…) zu retten“.
Schweitzer: Zwischen Wasser und Urwald: S. 78
Andererseits ist das seine Wirkung und sein Leben, für das er sich einsetzt, dem er sein Leben widmet.
Auch wenn diese Lichtgestalt weit entfernt von unserer Welt scheint, so lädt doch eine Auseinandersetzung mit ihm dazu ein, seinen Spuren zu folgen und vielleicht Anhaltspunkte für das eigene Selbstbild, die eigene Identitätsentwicklung zu geben. Wir müssen nicht weltberühmt werden, aber wir können in unserem Lebensbereich etwas für diese Welt tun und unseren Beitrag zur Erneuerung der Schöpfung leisten.