Ich stelle gerade die Gedanken von Friedemann Schulz von Thun über „Erfülltes Leben“ vor. Er betrachtet fünf Felder. Wir haben uns zunächst  im ersten Feld („Alpha“) mit der Wunscherfüllung beschäftigt, dann ging es im zweiten Feld(„Beta“) um die Sinn-Erfüllung. Nun kommen wir zumdritten Feld („Gamma“) und damit werfen wir einen Blick auf unsere Biografie. Beim Leben kommt es zum einen darauf an, was man daraus macht: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Aber vieles widerfährt uns zum anderen auch, wir haben es uns nicht ausgesucht: „Wir sind das heiße Eisen auf dem Amboss des Schicksals!“

Würden wir eine Biografie (oder einen Film) unseres Lebens herausbringen wollen, müssen wir zunächst die Schlüsselszenen und Meilensteine zusammenstellen. Welche Kämpfe haben wir ausgefochten? Welche Mentoren haben uns begleitet? Welche Niederlagen mussten wir verschmerzen? Welche Glücksmomente konnten wir verzeichnen? Welche Begegnungen sind unbedingt erwähnenswert? Nach einiger Überlegung haben wir die Sternstunden zusammen, aus denen unser Leben besteht. Das Feld Gamma steht für den Ereignis- und Erlebnisreichtum unseres Lebens. Manches mag unspektakulär sein, aber es sind wichtige Momente unseres Lebens.

Ich bin an der Grenze zur DDR aufgewachsen, unser Gartenzaun wurde von den Grenztruppen der DDR gesichert. Auf unserer Seite patrouillierte der Zoll (obwohl keiner die Grenze überschreiten durfte), gelegentlich rückte der Bundesgrenzschutz an. Kamen mehr als zwei Mannschaftswagen, rückten auf der anderen Seite die DDR Grenzer an. Als in der DDR einmal ein Bauernhof brannte, rückten die Feuerwehren aus den hessischen Nachbardörfern an, um zu helfen. Bald kamen Grenztruppen der DDR und versperrten den Weg. Ihr werdet hier nicht gebraucht. Zwanzig Minuten später rückte der Bundesgrenzschutz mit Panzerspähwagen und Mannschaftswagen an. Ein Abenteuer für uns Kinder.

In der Rückschau lebte ich in einem geschützten Raum. In meiner Freizeit streifte ich durch die Natur, am liebsten war ich in einer ehemaligen Kiesgrube, an die ein Tannenwäldchen grenzte. Dort bauten wir „Hütten“, machten Feuer, veranstalteten Geländespiele. Wenn meine Mutter mich suchte, suchte sie nach einer Rauchwolke und wusste, wo ich bin. Unsere Siedlung gehörte eigentlich zum größeren Dorf in der DDR und war um den Bahnhof entstanden, der nach der deutschen Teilung mehr und mehr seine Bedeutung verlor. Wir Kinder gingen daher in ein hessisches Dorf zur Schule (vier Klassen in einem Raum, jede Klasse zählte 8-12 Kinder), die nächste Realschule war 7 Kilometer entfernt, das nächste Gymnasium 25 km.

Die vielen schönen Seiten meiner Kindheit & Jugend werden mir erst in der Rückschau deutlich. Manches war langweilig, weniges wirklich spannend.

Für die Erfüllung der eigenen Biografie kommt es am Ende darauf an, welchen Reim ich mir darauf mache (auf Neudeutsch also das Narrativ). Manche haben dazu ein Talent zum Ausschmücken, andere sind eher die Stillen im Lande. Es ist aber gut, das Erlebte zu präsentieren, zu lamentieren, zu klagen und sich zu freuen. Zum inneren Team sollte auch die Schwester Jubilate gehören!

Um bedeutsame Lebensereignisse zu reflektieren, bietet Schulz von Thun das folgende Vier-Felder-Modell an. Es unterscheidet eine aktive Seite und eine passive. Im roten Teil könnte man einen Blitz zur Illustration einzeichnen, im blauen Teil eine Auszeichnung oder Würdigung.

Im 1. Feld (Stolz) geht es um die Ereignisse, auf die ich stolz bin. Ich habe das Abitur geschafft und ein Studium aufgenommen. Ich habe die Frau für’s Leben gefunden und wir haben vier Kinder bekommen. 
Ich habe geholfen, das MBS neu und erfolgreich aufzustellen. Ich habe ein sehr gutes Team zusammengestellt und geformt. Ich habe Francke-Buch aus den roten Zahlen bringen können.

Im 2. Feld (Scham & Schuld) geht es um die kleinen und großen Fehler in unserem Leben. Was bedauere ich?  Ich habe meinen Körper jahrelang eher vernachlässigt und nicht regelmäßig gegessen, das hat meine Diabetes II befördert. Habe ich sonst etwas angestellt, das Schuld und Schmach nach sich zieht? Ich denke, da gehören Einzelheiten nicht hin. Manches verdrängen (und vergessen) wir. Manche verleugnen ihre Verantwortung für etwas, manche reagieren mit Selbsthass oder Selbstverachtung.

Im 3. Feld (Schmerz & Kränkung) geht es um das, was uns zugestoßen ist. Was haben andere uns angetan? Mir fallen ein: Ein Unfall als Kind (davon zeugen noch eine Narbe an der Stirn und an meinem Knie), ein Autounfall vor unserer Hochzeit (zum Glück blieb er folgenlos). Details über erfahrene Kränkungen und Lieblosigkeiten lassen wir hier einmal weg. Gab es einen Wunsch nach Rache? Nein. Ich kann damit leben, ein Opfer geworden zu sein. Ich kann selbst für getanes Unrecht um Verzeihung bitten und anderen verzeihen. Das fällt nicht allen leicht. Aber wenn ich etwas vom christlichen Glauben verstanden habe, dann den Umgang mit Schuld und die Bedeutung von Versöhnung.

Im 4. Feld (Dankbarkeit) geht es um die Rettungen aus Not, Förderungen unserer Karriere, erfahrener Schutz. Wer hat uns Türen geöffnet? Was löst Dankbarkeit aus? Schon die gute Bindung an meine Eltern schufen beste Voraussetzungen für mein Leben, ich wusste mich immer geliebt. Für uns Kinder haben meine Eltern sich immer krumm gelegt. Der geschützte Lebensraum meiner Kindheit bot mir Freiräume , brachte viele Glücksmomente meines Lebens hervor. Dass meine Frau und ich zusammen sind, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich bin darauf nicht stolz, weil es meine Leistung ist. Ich erlebe es als Geschenk. Bis heute inspirieren wir uns und schätzen uns bei aller Unterschiedlichkeit. Ebenso freue ich mich über alle Weggefährten und Weggefährtinnen, die nicht gefördert und unterstützt haben: meine Lehrer und Lehrerinnen, mein Jugendleiter, WG-Gefährten in der Studienzeit, mein Mentor und all die Kolleginnen und Kollegen…

Literatur

Friedemann Schulz von Thun 2021: Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee. München: Hanser S. 33-111

Ich stelle gerade die Gedanken von Friedemann Schulz von Thun über „Erfülltes Leben“ vor. Er betrachtet fünf Felder. Wir haben uns zunächst  im ersten Feld („Alpha“) mit der Wunscherfüllung beschäftigt, dann ging es im zweiten Feld(„Beta“) um die Sinn-Erfüllung. Nun kommen wir zumdritten Feld („Gamma“) und damit werfen wir einen Blick auf unsere Biografie. Beim Leben kommt es zum einen darauf an, was man daraus macht: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Aber vieles widerfährt uns zum anderen auch, wir haben es uns nicht ausgesucht: „Wir sind das heiße Eisen auf dem Amboss des Schicksals!“

Würden wir eine Biografie (oder einen Film) unseres Lebens herausbringen wollen, müssen wir zunächst die Schlüsselszenen und Meilensteine zusammenstellen. Welche Kämpfe haben wir ausgefochten? Welche Mentoren haben uns begleitet? Welche Niederlagen mussten wir verschmerzen? Welche Glücksmomente konnten wir verzeichnen? Welche Begegnungen sind unbedingt erwähnenswert? Nach einiger Überlegung haben wir die Sternstunden zusammen, aus denen unser Leben besteht. Das Feld Gamma steht für den Ereignis- und Erlebnisreichtum unseres Lebens. Manches mag unspektakulär sein, aber es sind wichtige Momente unseres Lebens.

Ich bin an der Grenze zur DDR aufgewachsen, unser Gartenzaun wurde von den Grenztruppen der DDR gesichert. Auf unserer Seite patrouillierte der Zoll (obwohl keiner die Grenze überschreiten durfte), gelegentlich rückte der Bundesgrenzschutz an. Kamen mehr als zwei Mannschaftswagen, rückten auf der anderen Seite die DDR Grenzer an. Als in der DDR einmal ein Bauernhof brannte, rückten die Feuerwehren aus den hessischen Nachbardörfern an, um zu helfen. Bald kamen Grenztruppen der DDR und versperrten den Weg. Ihr werdet hier nicht gebraucht. Zwanzig Minuten später rückte der Bundesgrenzschutz mit Panzerspähwagen und Mannschaftswagen an. Ein Abenteuer für uns Kinder.

In der Rückschau lebte ich in einem geschützten Raum. In meiner Freizeit streifte ich durch die Natur, am liebsten war ich in einer ehemaligen Kiesgrube, an die ein Tannenwäldchen grenzte. Dort bauten wir „Hütten“, machten Feuer, veranstalteten Geländespiele. Wenn meine Mutter mich suchte, suchte sie nach einer Rauchwolke und wusste, wo ich bin. Unsere Siedlung gehörte eigentlich zum größeren Dorf in der DDR und war um den Bahnhof entstanden, der nach der deutschen Teilung mehr und mehr seine Bedeutung verlor. Wir Kinder gingen daher in ein hessisches Dorf zur Schule (vier Klassen in einem Raum, jede Klasse zählte 8-12 Kinder), die nächste Realschule war 7 Kilometer entfernt, das nächste Gymnasium 25 km.

Die vielen schönen Seiten meiner Kindheit & Jugend werden mir erst in der Rückschau deutlich. Manches war langweilig, weniges wirklich spannend.

Für die Erfüllung der eigenen Biografie kommt es am Ende darauf an, welchen Reim ich mir darauf mache (auf Neudeutsch also das Narrativ). Manche haben dazu ein Talent zum Ausschmücken, andere sind eher die Stillen im Lande. Es ist aber gut, das Erlebte zu präsentieren, zu lamentieren, zu klagen und sich zu freuen. Zum inneren Team sollte auch die Schwester Jubilate gehören!

Um bedeutsame Lebensereignisse zu reflektieren, bietet Schulz von Thun das folgende Vier-Felder-Modell an. Es unterscheidet eine aktive Seite und eine passive. Im roten Teil könnte man einen Blitz zur Illustration einzeichnen, im blauen Teil eine Auszeichnung oder Würdigung.

Im 1. Feld (Stolz) geht es um die Ereignisse, auf die ich stolz bin. Ich habe das Abitur geschafft und ein Studium aufgenommen. Ich habe die Frau für’s Leben gefunden und wir haben vier Kinder bekommen. 
Ich habe geholfen, das MBS neu und erfolgreich aufzustellen. Ich habe ein sehr gutes Team zusammengestellt und geformt. Ich habe Francke-Buch aus den roten Zahlen bringen können.

Im 2. Feld (Scham & Schuld) geht es um die kleinen und großen Fehler in unserem Leben. Was bedauere ich?  Ich habe meinen Körper jahrelang eher vernachlässigt und nicht regelmäßig gegessen, das hat meine Diabetes II befördert. Habe ich sonst etwas angestellt, das Schuld und Schmach nach sich zieht? Ich denke, da gehören Einzelheiten nicht hin. Manches verdrängen (und vergessen) wir. Manche verleugnen ihre Verantwortung für etwas, manche reagieren mit Selbsthass oder Selbstverachtung.

Im 3. Feld (Schmerz & Kränkung) geht es um das, was uns zugestoßen ist. Was haben andere uns angetan? Mir fallen ein: Ein Unfall als Kind (davon zeugen noch eine Narbe an der Stirn und an meinem Knie), ein Autounfall vor unserer Hochzeit (zum Glück blieb er folgenlos). Details über erfahrene Kränkungen und Lieblosigkeiten lassen wir hier einmal weg. Gab es einen Wunsch nach Rache? Nein. Ich kann damit leben, ein Opfer geworden zu sein. Ich kann selbst für getanes Unrecht um Verzeihung bitten und anderen verzeihen. Das fällt nicht allen leicht. Aber wenn ich etwas vom christlichen Glauben verstanden habe, dann den Umgang mit Schuld und die Bedeutung von Versöhnung.

Im 4. Feld (Dankbarkeit) geht es um die Rettungen aus Not, Förderungen unserer Karriere, erfahrener Schutz. Wer hat uns Türen geöffnet? Was löst Dankbarkeit aus? Schon die gute Bindung an meine Eltern schufen beste Voraussetzungen für mein Leben, ich wusste mich immer geliebt. Für uns Kinder haben meine Eltern sich immer krumm gelegt. Der geschützte Lebensraum meiner Kindheit bot mir Freiräume , brachte viele Glücksmomente meines Lebens hervor. Dass meine Frau und ich zusammen sind, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich bin darauf nicht stolz, weil es meine Leistung ist. Ich erlebe es als Geschenk. Bis heute inspirieren wir uns und schätzen uns bei aller Unterschiedlichkeit. Ebenso freue ich mich über alle Weggefährten und Weggefährtinnen, die nicht gefördert und unterstützt haben: meine Lehrer und Lehrerinnen, mein Jugendleiter, WG-Gefährten in der Studienzeit, mein Mentor und all die Kolleginnen und Kollegen…

Literatur

Friedemann Schulz von Thun 2021: Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee. München: Hanser S. 33-111