Wir Menschen urteilen oft sehr schnell über andere. Die Nachrichten sind prall gefüllt mit Berichten über die Macken anderer. Ein Politiker scheint alles auszusitzen. Ein Sportler hat gedopt. Ein Filmstar prügelt sich. Oft genug fallen uns Schwächen bei anderen schneller auf als ihre Stärken. Das Evangelium von heute mahnt uns zur Barmherzigkeit mit anderen.
Vielleicht wägt der Politiker in einer komplexen Situation gründlich ab und bringt dann die beste Lösung? Vielleicht hat der Sportler eigentlich nur ein Schmerzmittel eines Arztes genommen und wusste nichts über die Nebenwirkung? Vielleicht hat der Filmstar sich für andere eingesetzt?
»Seid barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist. Ihr sollt andere nicht verurteilen, dann wird auch Gott euch nicht verurteilen. Sitzt über niemanden zu Gericht, dann wird Gott auch über euch nicht zu Gericht sitzen. Vergebt anderen, dann wird Gott auch euch vergeben.
Lk 6,36-42
VerstehenUnser Evangelium steht in der Feldrede nach Lukas, unser Abschnitt ist schwer von den anderen Abschnitten zu trennen. 36-38 sind Teil eines Abschnitts über die Liebe zu allen Menschen (27-38). 39-42 warnt dann vor Überheblichkeit. Schauen wir uns das an.
Jesus mahnt seine Nachfolger zur Barmherzigkeit mit anderen, weil unser Vater im Himmel selber barmherzig ist. Immer wieder zeigt Gott diesen Grundzug seines Wesens. Deshalb sandte er seinen Sohn in unsere Welt, um etwas gegen die Trennung von Menschen und ihrem Schöpfer zu tun. Das war der Gipfel seiner Barmherzigkeit. Er verurteilte die Menschen nicht endgültig, sondern er sendet seinen Sohn und setzt damit ein Zeichen der Versöhnung.
Und wenn wir die Evangelien lesen, dann können wir erkennen, wie sich in Jesu Leben die Barmherzigkeit Gottes spiegelt. Er wendet sich den Schwachen und Ausgegrenzten, den Sündern und Gleichgültigen zu. Damit lebt uns Jesus vor, wie der Schöpfer sich das Leben von Menschen gedacht hat. Zur Barmherzigkeit gehört dann auch, dass wir andere nicht verurteilen, sondern barmherzig handeln und vergeben.
Wenn wir andere nicht richten und verurteilen, dann wird Gott auch über uns nicht zu Gericht sitzen. Barmherzigkeit ist ein Wesenszug Gottes, Barmherzigkeit ist uns Geschöpfen aufgetragen.
Und weil Gott uns so viel geschenkt hat, sollen wir anderen abgeben. Er hat uns geschaffen und in eine Umwelt gesetzt, die alles bietet, was wir brauchen. Trotz alles Raubbaus an der Natur bietet sie noch immer alles, was wir brauchen. „Ein volles Maß wird“ uns „in den Schoß gedrückt“ – Davon können wir anderen etwas schenken, abgeben, unterstützen. Unser Maßstab für andere wird auch an unser Leben angelegt. Das klingt logisch.
Aber oft genug sind wir so blind für das, was Gott uns schenken will. Wir sehen nur die geringen Möglichkeiten bei uns und vor allem bei anderen. Die Schwächen fallen uns oft genug mehr auf als Stärken. Darin gleichen wir zwei Blinden, die Gefahren nicht erkennen und in eine Grube fallen können. Wir sind wie Blinde unterwegs.
Oft genug können wir nicht gut sehen, weil etwas unseren Blick versperrt und wir sehen dann nur, was uns an anderen stört oder was sie einschränkt. Jesus hält aber diese Einschränkungen bei den anderen für Splitter im Verhältnis zu dem Balken in unserem Auge. Als Sohn eines Zimmermanns hat er Splitter im Auge der Arbeiter vermutlich oft gesehen, es war ein Bild aus seinem früheren Alltag. Aber oft sind die eigenen Probleme eben viel größer als die der anderen. Jesus bezeichnet solche Leute, die die vielen kleinen Fehler bei den anderen sehen, als Scheinheilige.
Zunächst müssen wir uns unsere Sehstörungen im Blick auf andere und ihre Schwächen eingestehen. Wie oft haben wir die kleinen (und großen) Schwächen der anderen gesehen und sind darauf herumgeritten?
Ein erstes Fazit lautet daher: Uns fehlt Einblick! Wir Menschen sehen oft genug nur, was wir sehen wollen. Und das sind meistens die kleinen Fehler der anderen. Aus Gottes Perspektive sieht das ganz anders aus, er sieht nämlich das Herz an. Daher sollen wir uns vor oberflächlichen Urteilen über andere hüten. Dabei hilft uns Menschen die Barmherzigkeit. Oft genug wirkt die auf andere viel stärker als Strenge. Aber Barmherzigkeit ist auch keine Patentlösung.
Uns fehlt aber auch Weitblick. Gottes Barmherzigkeit ist viel größer, als wir es uns vorstellen können. Im Blick auf unser eigenes Leben wird uns das schnell klar. Wie oft wählen wir falsche Abzweigungen auf unserem Lebensweg, finden uns plötzlich in einer Sackgasse vor oder in einem gefährlichen Gelände, in dem ohne Verletzungen kein Durchkommen ist. Wie oft mussten wir Rückzüge antreten? Wie oft haben wir anderen Unrecht getan? Wie oft haben wir unser Ziel verfehlt? Und doch erleben wir immer wieder die offenen Arme unseres Vaters im Himmel. Und sollte er das bei anderen anders halten? Sicher hilft es uns, den Weitblick auf die übergroße Barmherzigkeit Gottes zu schärfen.
So bleibt uns noch der Ausblick auf die nächsten Schritte. Die Aufforderung Jesu ist uns gegeben: Seid barmherzig – bei den kleinen Splittern im Auge der Menschen in unserer Nähe, denen wir oft begegnen. Und das gilt gerade für uns als Christen für unser Miteinander: Seid barmherzig. Und das dürfen wir auch mit uns selbst sein: Seid barmherzig.