Welches Bild haben wir von Maria? Oft wird sie als demütig und sanftmütig gesehen. War sie das? Sie willigt in etwas ein, was ihr mächtigen Ärger bringen wird. Das klingt nicht nach Demut, das klingt nach Durchsetzungsvermögen.

Ich stelle sie mir nicht nur intelligent, sondern auch kämpferisch vor. Sie hat Durchsetzungsvermögen und ist eine starke Frau: Weder das künftige Tuscheln der Leute oder die kommenden Anklagen in der Familie können ihr etwas anhaben. Maria muss wirklich eine begnadete Frau gewesen sein. Sie ist ein Prototyp der Glaubenden. Maria ist auch für uns Evangelische ein Vorbild im Glauben.

Begnadet

Nein, es war kein öffentliches Casting,  wie wir es aus dem TV kennen. Es gab auch keine Stellenausschreibung für die Mutter Jesu. Gott sendet den Engel Gabriel plötzlich und unerwartet – aus heiterem Himmel –  in die Kleinstadt Nazareth in Galiläa. 

Nicht nach Jerusalem, das religiöse Zentrum des Judentums, nicht in die Weltmetropole Rom. Gabriel muss in die tiefste Provinz. Weder in den Tempel noch in den Palast, sondern in ein einfaches Haus. Maria wird vermutlich bei der Hausarbeit gewesen sein. 

Ganz jung war Maria noch, verlobt mit dem Zimmermann Josef, aber noch nicht verheiratet. Vermutlich stammt sie wie Josef aus dem Mittelstand, ein Mädchen ungefähr im Konfirmandinnenalter. Zu ihr kommt ein Engel. 

Nach dem Gruß erschrickt sie, plötzlich steht da ein Bote Gottes und spricht sie seltsam an. „Grüß Dich, Maria, du Begnadete. Der Herr ist mit Dir!“

Die Anrede wird sie überrascht haben, sie macht ihr vielleicht auch Angst. Warum schickt Gott ihr einen Boten, in der Bibel geht es doch meistens nur um Männer. Du Begnadete – grundlos und voraussetzungslos entdeckt. Von Gott gnädig angesehen! Ohne Vorleistungen von Gott angesehen. 

Das wird sie gleich in ihrem Lobgesang sagen: „Er hat die Niedrigkeit seiner Dienerin angesehen.“ (Lk 1,48).

So ist es auch bei uns: Aus Gnaden schaut er uns an. Er hat uns besucht und gefunden, er hat unser Herz angerührt. Hat er auch etwas mit uns vor?

Gefragt

In der Botschaft des Engels steckt eine vorsichtige Frage. Das hat Gott vor – was sagst du, Maria dazu? Wie wird sie antworten? Als unverheiratete Frau ein Kind zu bekommen, ist damals viel schwieriger als heute. Vermutlich wird ihre Familie toben. Vermutlich wird Josef sie verlassen. Die Frommen werden mit dem Finger auf sie zeigen und Flittchen nennen. Da kann sie sich auf etwas gefasst machen! Kann man das freiwillig wollen?

Gott lässt sich auf Maria ein. Er respektiert sie, überwältigt sie nicht. Er wartet auf ihr Ja. Ähnlich berichten Propheten von ihrer Begegnung mit Gott. Mose darf seine Einwände nennen, aber er lässt sich senden. Jesaja hat eine Vision: „Wen sollen wir senden? Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6). Die Apostel werden von Jesus in die Nachfolge gerufen und folgen nach. Gott hat Respekt vor uns Menschen.

Aber Maria stimmt in Gottes Plan ein. Was ist da in ihr passiert? „Ich bin Gottes Dienerin. Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Was führt zu diesem „Ja“? Was hat sie da erreicht? Was hat sich ihr aufgeschlossen? So wird Maria schwanger und bekommt ihr Kind.  Maria lässt sich auf Gott ein und Gott kommt zur Welt. Sie hat ja gesagt.

So ist es auch bei uns: In kleinen Schritten können wir Nachfolge wagen. Auch wir dürfen auf Gott hören, ihm vertrauen und nachfolgen.

Beschenkt

Maria soll ein Kind bekommen, das Jesus heißen soll. Jesus bedeutet „Retter“ – kein Lehrer, kein Lebensberater, kein General, sondern ein Retter. Ein Retter aus unserer Verlorenheit und Gott-Vergessenheit, aus unserer Schuld und Ohnmacht. 

Er wird groß sein. Jesus wird sehr bekannt, die Frommen halten ihn für gefährlich, weil er an der religiösen Praxis rüttelt. Für die Römer hat er zu viele Anhänger und zu viel Popularität. Aber für die von Gott aus Gnaden angesprochenen und besuchten besteht seine Größe darin, dass er vom Himmel erzählt und Menschen den Weg zu Gott öffnet.

„Wie soll das zugehen?“ Maria ist noch nicht verheiratet. Heiliger Geist wird über sie kommen und sie wird schwanger werden. Bei manchen wirft das schwere Fragen auf. Wenn Gott der Schöpfer allen Lebens ist – wo soll hier ein Problem sein? Durch Maria wird der Messias zur Welt kommen. In ihr verwandelt sich der allmächtige und ewige Gott in einen ohnmächtigen und sterblichen Menschen. Unser Glaube bekennt ihn als wahren Gott und wahren Menschen.

Das war offenbar für diese Rettungsmission nötig. So kommt Gott den Menschen nah, so rettet er aus Schuld und Tod. Wenn Gott uns nahe kommt, ist es immer ein Wunder.

So ist es auch bei uns: Wer zum Glauben findet, wird von Gott beschenkt. Durch seinen Heiligen Geist lebt Gott in unserem Herzen. Ein Glaube an die Geburt Jesu in Bethlehem ist schön und gut. Jesus muss in uns geboren werden und unser Herz erfüllen. Dann wird es Weihnachten. Dann feiern wir Christfest.