Wie kommen wir zu ethischen Urteilen? Wie können wir unsere christliche Tradition einbringen und wie sieht ihr Kern aus?

Gehen wir von der christlich-jüdischen Weltvorstellung aus, dass wir Menschen Geschöpfe Gottes sind, dann sind wir ihm verantwortlich. Das gibt unserem Leben ein erstes Vorzeichen: Wir sind nicht als einzelne Wesen geschaffen, die sich selbst genügen, sondern die auf Gemeinschaft angelegt sind. Wir empfangen uns von anderen und sind anderen etwas schuldig. Wie wir die anderen brauchen, brauchen sie auch uns.

Das zentrale Gebot für Christen entstammt aus dem Alten Testament: Als Jesus nach dem höchsten Gebot gefragt wird, antwortet er:

Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5). Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Die Liebe zu Gott und zum Nächsten stellen also den Kern christlicher Tradition dar. Jesus selbst zitiert hier das Alte Testament, dort finden wir auch die 10 Gebote, die Luther einst in den Katechismus übernimmt.

Ohne ein Verhältnis zu Gott sind diese Grundüberzeugungen für einen gesellschaftlichen Dialog nicht überzeugend. Hier müssen wir erst „über-setzen“. Das kann etwa geschehen, wenn wir darauf hinweisen, dass alles Leben sich nicht selbst hervorbringt, sondern von anderen hervorgebracht ist und abhängt. Wir verdanken unser Leben unseren Eltern, unsere Persönlichkeit entstand im Diskurs mit Freundinnen, Erzieherinnen und Lehrerinnen.

Aus allen Begegnungen haben wir uns etwas mitgenommen, haben manche Werte aufgenommen, manche Überzeugungen geteilt. Am Ende haben wir unsere Identität hervorgebracht, mit der wir unser Leben leben. Meist endet hier das Nachdenken. Aber das Leben in unserer Welt funktioniert nur, wenn wir nicht nur selbstbezogen leben, sondern unser Leben teilen, den anderen etwas mitgeben. Wir haben empfangen, haben Passendes ausgewählt und sind nun uns den anderen schuldig.

Man kann diese Ordnung des Lebens als säkulare Beschreibung des Doppelgebotes der Liebe betrachten. Man kann auch in der Beschreibung bleiben. Ein Ansatz zum Dialog haben wir so allemal.

Hier noch einmal ausführlich: