Einführung
Der Begriff „Autorität“ ist heute umstritten, im Kern geht es um eine begründete und legitime Einflussmöglichkeit auf andere. Autorität haben Personen oder Institutionen (z.B. Polizei, Justiz, Regierung).
Bei Personen haben wir zunächst die personale Autorität: Sie ist durch Erfahrung, Wissen, Kraft und Leistung gekennzeichnet. Das gilt etwa für Ältere, Wissenschaftler und Fachleute, Sportler und fleißige Angestellte
Positionale Autorität dagegen verleiht etwa ein Amt (Polizist, Richter, Minister) oder die Position in einer Firma (Chef, Abteilungsleiter).
Gesellschaftlich akzeptierte Autorität haben bei uns Eltern, Lehrende, Vorgesetzte oder Polizeibeamtinnen. Darüber hinaus wird Autorität auch spontan zugeschrieben, wenn jemand etwas meisterhaft kann.
Das Kreuz mit der Autorität
Lange Zeit sind alle Formen von Autorität aufgrund den Erfahrungen mit Diktatur in Westdeutschland in Frage gestellt worden. In der ehemaligen DDR wirkt das Unbehagen an Autorität noch weiter fort. Freiheit und Selbstbestimmung sollen herrschen, auch in Deutschland. Punkt.
Namentlich im Rahmen der Studentenunruhen in den späten 1960er Jahren haben die Ideen von anti-autoritärer Erziehung undAntipädagogik ihre Offensiven gestartet und die pädagogische Welt verändert. Der Begriff „Autorität“ galt als „böse“, viele verwendeten ihn höchstens negativ. Man tritt bis heute lieber für „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ im Namen der „Autonomie“ und „Eigenständigkeit“ der Kinder ein
Aber Hand auf’s Herz: Ist Schule kein Zwangssystem? Schon ein oberflächlicher Blick auf „Schulschwänzer“ zeigt eindrücklich, dass es mit der freien Entfaltung der Kinder und Jugendlichen so eine Sache ist. Viele Kinder erleben sowohl die Kindertagesstätte wie die Schule als Zwangsinstitution, auch wenn der Begriff Autorität nicht gebraucht wird. Offenbar geht der Zwang nicht vom Begriff aus.
Und ist Unterricht wie jede Erziehung nicht eine „Kommunikationspraxis“, in der Lehrende eine „Handlungsanweisung“ geben, von der erwartet wird, dass die Lernenden sich darauf einlassen und sie befolgen? Hat Reichenbach (2012:180ff) nicht recht, wenn er behauptet, dass es „im pädagogischen Feld wenig Möglichkeiten der prinzipiell herrschaftsfreien Kommunikation gibt“? Am Ende zählen Leistungen, die „Anerkennung“ der Lehrerautorität einfordern, auch wenn das Autoritätsverhältnis vielleicht verschleiert wird durch „freundliche Aufforderungen“, „begründete Erwartungen“ oder „artikulierte Bedürfnisse“ und ein direkter Befehlston fehlt.
Erkundungen
Gehen wir zunächst vom lateinischen Begriff auctoritas aus, so sehen wir, dass dies „wachsen lassen“ oder „vermehren“ meint. Damit kann man es übertreiben, wenn dies rücksichtslos geschieht, wenn die eigenen Bedürfnisse eines Kindes übersehender sogar unterdrückt werden. Genauso kann man es übertreiben, wenn Eltern ihre Kinder vor alles schützen wollen…
Oft schreiben wir jemand freiwillig Autorität zu, das tun etwa die Musikerinnen eines Orchestern, die der Dirigentin folgen! Das tun auch Menschen bei einem großartigen Prediger, den sie im Gottesdienst lauschen. Oft nehmen solche Personen das Zugeschriebene auf und inszenieren sich entsprechend.
Oft genug haben Menschen ein Sicherheitsbedürfnis und suchen Autorität. Das tun Kinder in der Kita und in der Schule, das erleben wir aber auch bei den Wählern, wenn das Vertrauen in die Regierung schwindet. Aber schon Kinder erkennen sehr schnell, was hinter dem Gebaren von Erwachsenen steckt, sie entlarven falsche Autorität im Handumdrehen.
Unter Pädagogen und anderen Weltveränderern stellt sich die Frage, ob Kinder nicht durch die Erfahrung der Autorität seitens der Eltern wohlmöglich eine Disposition erhalten, dass sie gleichsam konditioniert und letztlich auf hierarchische Verhältnisse programmiert werden. Forschungen zeigen: die Erwartung an Autorität ist bei Kindern zunächst hoch, nimmt dann aber immer weiter ab. In der Jugendzeit gehört die Infragestellung von Autorität dann zur gesunden Entwicklung hinzu.
Autorität und Herrschaft
Aufschlussreich ist die Einteilung von Herrschaft durch Max Weber. Er unterscheidet rationale Herrschaft durch Gesetze und Verfassung. Davon hebt er traditionelle Herrschaft der Aristokratie ab. Schließlich gibt es die charismatische Herrschaft durch Helden, Propheten oder Therapeuten. Menschen folgen diesen Menschen freiwillig und oft spontan, so lange sie „liefern“ können.
Auch Hegels Gedanken zum Thema „Herrschaft und Knechtschaft“ sind interessant, der in vier Schritten Auskunft über den Weg von der Unterwerfung zur Freiheit beschreibt. Zunächst bestehe das Autoritätsverhältnis und der Beherrschte ziehe sich aus der Welt zurück, mache sich seine Gedanken und lebe in einer inneren Freiheit. Dann folge zweitens die Zuwendung zu dieser Welt, indem der Unterworfene an seiner eigenen Rolle und „der moralischen Überlegenheit“ seines Herrn zweifelt. Der Knecht erkenne, wo die Macht seines Herrn ihre Grenzen habe und er verliere allmählich seine Angst.
Dann folge die Phase des „unglücklichen Bewusstseins“, in der sich der Zweifel gleichsam nach innen wende: Der Diener erkennt, dass in jedem Menschen ein Herr und ein Knecht wohnt (Sennett 2012: 167). Darauf folgt schließlich zuletzt das „vernünftige Bewusstsein“, wenn der Mensch erkennt, dass alle Menschen diesen inneren Zwiespalt von Herr und Knecht hätten. Das mache ihn frei.
Fazit
Ausgehend von den positiven Beschreibungen von Autorität in Organisationen (wie dem bereits genannten Orchester) ist der Einsatz von Zwangsmitteln zur Unterwerfung von Menschen nicht ursächlich für Autorität. Autorität soll Freiheit nicht verhindern, sondern schützen und fördern. Die Nazis hatten keine wahre Autorität, sie gebärdeten sich autoritär, vor allem waren sie tyrannisch und kriminell, ihre Autorität war von Grund auf illegitim, weil ihre Werte (Rassenideologie, Staatsmacht im Dienst einer Rasse) illegitim waren und sie sich entsprechenden Methoden bedient haben (so urteilt Hannah Arendt nach Reichenbach 2012: 159f.): Autorität und Freiheit vertragen sich durchaus.
Persönliche Autorität lebt nicht von der Angst, sondern von der gewährten Sicherheit der anderen, die so geschützt werden und sich weitgehend frei entwickeln können. Furcht und Respekt liegen nahe beieinander, aber das Ziel muss immer sein, Furcht abzubauen, hier haben Autoritäten einen Auftrag, aber auch die anderen, die sich ihr gegenüber verhalten. Deshalb mag es gut sein, wenn Autorität alles Geheimnisvolle und Distanzierte verliert. Je genauer man sie kennt, desto weniger Furcht geht von ihr aus.
Autorität zielt seinem Ursprung nach auf Wachsen lassen und vermehren. Im Allgemeinen hat die Autorität, die Wachstum und Entwicklung fördert, für das Gelingen des Ganzen in einem System sorgt, wie der Dirigent in einem Orchester: Er wird von den Musikern auch in seiner Führungsrolle akzeptiert, solange das Ensemble überzeugt ist, dass er für ein großartiges und einzigartiges Klangereignis sorgen kann. Wahren Autoritäten fügen sich alle freiwillig, das ist auch bei Fußballvereinen oder in einer Firma so. Kritisch wird es immer, wenn diese Freiwilligkeit endet und die Anerkennung der Autorität eingefordert wird. Alle Formen von Unterdrückung dienen normalerweise nicht dem großen Ganzen (etwa einer Gemeinschaft), sondern dem Interesse einzelner. Tyrannen haben jedoch keine Autorität, auch wenn sie sich autoritär gebärden. In einer Demokratie wird alle Macht nur auf Zeit verliehen