Heute möchte ich das Feld Alpha: Wunsch-Erfüllung nach dem Buch von Schulz von Thun 2021 (19-39) vorstellen. In unserem Leben entwickeln wir ganz verschiedene Wünsche und Sehnsüchte. Manche teilen wir mit anderen (Frieden, Geborgenheit, Anerkennung, Zugehörigkeit), manche nicht. Was die einen als Traum empfinden („keine Arbeit ab 50“), können andere gar nicht begreifen. Während einige einen Urlaub nach dem anderen planen, freuen sich andere auf ihre berufliche Tätigkeit.

Manche Wünsche liegen nicht offen zu Tage, man muss sie aufspüren. Vielleicht fürchtet etwas in uns, dass wir uns blamieren und lässt die Sehnsucht gar nicht aufkommen. Andere Wünsche werden uns bewusst, sie passen aber gar nicht zu unserer Lebenssituation.

 Ich entdeckte den Wunsch, Lehrer zu werden, zu einer Zeit, als ich in der Realschule ein eher schlechter Schüler war. Meist stand in einem Hauptfach ein „mangelhaft“ im Zeugnis und mindestens einmal war die Versetzung gefährdet. Öffentlich habe ich diese „Schnapsidee“, Lehrer zu werden, nie geäußert, aber immer wieder tauchte sie auf. Mein Vater dachte eher an einen „Bürojob“ als Bank- oder Industriekaufmann. Ein Praktikum in einem Industriebetrieb war die Offenbarung: Da willst du nicht arbeiten. Mit den Arbeitnehmern kam ich gut zurecht, man war mit mir zufrieden. Aber Maschinen herstellen war nicht meine Leidenschaft. Lieber wollte ich etwas anderes Kreatives machen, etwa Schreiner werden.

Schulz vom Thun hat die Metapher vom „inneren Team“ ins Spiel gebracht. Dahinter steht die Beobachtung, dass wir etwa bei schweren Entscheidungen verschiedene Stimmen in uns ausmachen: Aktivisten, Veränderer und Abenteurer wollen loslegen, innere Zensoren, Bedenkenträger, Realisten walten ihres Amtes und halten die Sehnsucht in Schach, lassen sie vielleicht gar nicht nach oben gelangen. Alle Mitglieder des Teams meinen es gut mit uns, wollen uns schützen und etwa vor einem Imageverlust bewahren. Ich habe die Sehnsucht, Lehrer zu werden. Ein Bremser tritt auf und macht klar: „Dazu reichen deine Leistungen in der Schule nicht! Und für den Lehrerberuf musst du studieren, das geht kaum ohne Abitur. Keiner deiner Familie ist Lehrer, alle sind Handwerker: Maler, Tischler, Elektriker, Maschinenschlosser. Schmink dir das ab und mach dich nicht lächerlich.“

Manche Sehnsucht ist eher eine „Schnapsidee“, andere gründen in unserem Wesen. Sehnsucht weist uns den Weg zu zentralen Lebensthemen, was zu uns selbst gehört (Kast 2014: 107). Über unsere Sehnsüchte entdecken wir unser Selbst. Dazu folgen wir unserer Sehnsucht, malen sie aus, spüren das Lebensgefühl auf, das dahinter liegt.

Hinter meiner Sehnsucht, Lehrer zu werden, steckte zunächst der Wunsch, Bildung zu vermitteln. Der Wunsch hat mich in der Folgezeit motiviert, statt auf meine Freizeit zu setzen, etwas für die Schule zu tun. Als ich damit begann, änderten sich meine Noten und am Ende der Mittelstufe fragte mich meine Klassenlehrerin, ob ich nicht Abitur machen wolle. Sie überzeugte sogar meine Eltern von diesem tollkühnen Plan und als ich den Weg zum Wirtschaftsgymnasium beschritt, schien das auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis ein folgerichtiges Unternehmen.

Nachdem ich auf dem Wirtschaftsgymnasium aufgenommen worden war, dachte ich zuerst an eine Tätigkeit im Bereich Volks- oder Betriebswirtschaft. Bald tauchte der alte Gedanke, Lehrer zu werden aber wieder auf. Ganz diffus trat da also schon in der Mittelstufe etwas nach oben, was ich leben wollte. Da ich kurz vorher religiös geworden bin und mit Gott eine Reise angetreten hatte, kam mir in den Sinn, das Evangelium in der Schule zu verkünden. Diese Vorstellung bestimmte dann meine Zeit am Gymnasium und vor dem Studium. Das Gymnasium habe ich übrigens nur mit „Achen und Krachen“ geschafft, mein NC war erstaunlich schlecht. Aber ich bekam einen Studienplatz zuerst einen in Trier (von Nordhessen eine Tagesreise mit Bahn und Bus), später wurde mir noch ein Platz in Gießen angeboten – aber da hatte ich schon ein Zimmer in Trier gefunden.

Wenn wir unseren Sehnsüchten auf den Grund gehen, entdecken wir in uns verschiedene Mitglieder unseres „inneren Teams“, die einander geradezu widersprechen. Schulz von Thun nennt als Beispiel die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit, die die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Geborgenheit auf den Plan rufen kann. Ein ständiger Ruf ins Abenteuer führt zu „ruheloser Flüchtigkeit“, die Sehnsucht nach Heimat kann zur „lähmenden Fesselung“ werden. Hier müssen wir uns nicht für etwas entscheiden, sondern hier ist die Balance beider Sehnsüchte erstrebenswert.

Das schauen wir uns am Wertequadrat der Hamburger Kommunikationspsychologie (Schulz von Thun 2021: 35f.) noch einmal an einem Beispiel an.

Hier steht die Sehnsucht nach Aufbruch & Abenteuer dem Wunsch nach Verwurzelung & Heimat gegenüber. Beide können wir kaum gegeneinander ausspielen. Es geht nicht um Polarisierung, sondern um Ergänzung. Wir haben und brauchen beides, Wurzeln und Flügel. Die einen leben stärker das eine, die anderen leben das andere.

Ich habe mich für den Aufbruch nach Trier und den Abbruch meines Lebens in Nordhessen entschieden. Das hat mich anfangs viel Kraft gekostet, brachte mich aber aus dem Dorf in eine Stadt. (Auch wenn Trier keine 100.000 Einwohner hatte, war es für mich doch eindeutig eine große Stadt.) Die meisten Studierenden stammten aus der Gegend, fuhren am Wochenende nach Hause, ich musste sehen, wie ich meine Freizeit als Dorfkind organisieren. Im Nachhinein entfloh ich so den beengten Verhältnissen Nordhessens, musste auf eigenen Füßen stehen und fuhr nur gelegentlich nach Hause (zu Weihnachten, um Ostern und im Sommer).

Ziel von Typ Alpha ist es also, persönliches Glück zu erreichen. Was macht unser Leben angenehm? Was passt gut zu uns? In der Rückschau können wir fragen: Was hat sich für uns erfüllt? Im Feld Alpha werden oft genug andere Felder „angesprochen“ bzw. weitere Perspektiven geöffnet. Da machen wir nächste Woche weiter!

Literatur

  • Friedemann Schulz von Thun 2021: Erfülltes Leben. Ein kleines Modell für eine große Idee. München: Hanser
  • Verena Kast 2014: Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben. Freiburg: Herder