Wir hetzen von Termin zu Termin, haben zu wenig Zeit, leben im Beschleunigungsrausch. Auch die Erziehung der Kinder steht unter dem Bann dieses Rausches: Schon bald nach der Geburt hetzen Eltern mit ihren Kindern von Termin zu Termin, um ihren Kindern eine optimale Zukunft zu ermöglichen. Während der Schulzeit füllen Hausaufgaben und Nachhilfestunden die unterrichtsfreie Zeit, „Spitzenarbeitszeiten von zehn Stunden täglich und Durchschnitte von mehr als 40 Stunden in der Woche“ scheinen nicht unüblich. Das übersteige oft die Arbeitszeit der Eltern beträchtlich. (Reheis 2010 S. 11). Die Verkürzung der Gymnasialzeit („G8“) und der Hochschulstudiengänge („BA“ statt Diplom) haben den Druck im Bildungswesen erhöht. Immerhin hat man G12 zurückgedreht.

Angesichts wirtschaftlicher Überlegungen kommt das Bildungswesen immer mehr unter Druck, die Verkürzung wird bis zum Äußersten getrieben, Freiheit des Reifens immer weiter beschnitten. Fritz Reheis hat bereits vor 10 Jahren von einer „Variante der gesellschaftlich organisierten Gleichschaltung des Denkens, Fühlens und Handelns der Menschen“ (Reheis 2010 S. 52) gesprochen. Gleichschaltung – das klingt nach Totalitarismus, oder? Die Kinder müssen auch nachmittags zur Schule. Kein Wunder, dass Sportvereine und Gemeinden ihre Angebote unter der Woche kaum noch füllen können. Auch bei den Lehrenden zeitigt das Folgen, zwei Drittel der deutschen Lehrerinnen und Lehrer sind durch ihre Arbeit gesundheitlich gefährdet.

Zeitmessung, Zeitvergleich und Zeitdruck spiegeln den Beschleunigungsrausch in der Schule und unserer Gesellschaft vielfach wider, das gilt für Studierende wie Lehrende. Kinder und Jugendliche werden zu schnellem Arbeiten und schnellem Wechsel des Gegenstandes erzogen, Hektik und Rastlosigkeit scheinen unverzichtbar. 

Seit 20 Jahren liest man immer häufiger, dass die Beschleunigung selten viel bringt, ja dass sie Stresskrankheiten auslöst, dass die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit immer mehr verschwimmt. Die „Hetz-Krankheit“ hat viele ergriffen und bedroht elementare Seiten ihres Menschseins (so Seiwert 2001 25-31). Die Gegenbewegung zum Hochgeschwindigkeits-Zeitmanagement ist das Lob der Langsamkeit und der Entschleunigung, der Aufruf zum Vergnügen. Die Zeitökologie wird gepriesen als Lehre vom richtigen Haushalten mit der Zeit. Aber geändert hat sich in diesen 20 Jahren kaum etwas, eher hat die Beschleunigung zugenommen.

Als Hilfe zur Selbsthilfe diente einst das „neue Zeitmanagement“, das Zeitdiebe entlarvt, klare Prioritäten setzt und die Vision des ganzen Lebens in Handlungsziele für den Alltag herunterbricht. Lebensrollen werden festgelegt, Schlüssel-Aufgaben unter dem Aspekt der Effektivität bewertet, teilweise delegiert, in Teilaufgaben zerlegt und nach Wichtigkeit abgearbeitet. (Seiwert 2001). Aber hilft das? Oder wird so vielleicht auch nur der Druck erhöht?

Die junge Generation entzieht sich diesem Beschleunigungswahnsinn und will von einer Arbeit-Freizeit-Balance nichts wissen. Da gibt es für sie keine Kompromisse. Was fordert das Unternehmen? Will ich dem entsprechen? Da müssen die Unternehmen umlernen. Der Kampf um Arbeitsplätze ist dem Kampf um Arbeitnehmende gewichen. Und das wird erstmal so bleiben. Unternehmen müssen sich neu auf ihre Mitarbeitenden einstellen. Das ist ungewohnt.

Aber unsere Arbeit ist ja nur ein Teil des Lebens. Unsere Welt bietet uns 1.000 Freizeitbeschäftigungen, und was tun wir? Ungezählte TV-Programme wollen gesehen oder wenigstens angezappt werden, PC-Spiele locken zum Spielen, das Internet zum Verweilen und jene sozialen Netzwerke, in denen wir den Rest unserer Zeit verbringen, ziehen uns in ihren Bann. Insofern viele Menschen beruflich mit dem PC arbeiten, scheint diese Freizeitbeschäftigung aufschlussreich: Ist das eine Sucht? Handelt es sich um Genuss pur? Was sagt das über uns Menschen aus? Fliehen wir vor gemeinsamen Aktivitäten oder vor uns selbst? Halten wir die Stille und Einsamkeit nicht mehr aus? Wie sollen wir uns auf Gott einlassen, wenn wir unsere Arbeit nicht loslassen, wenn wir uns immer wieder selbst beschäftigen und die letzten Zeitlücken schließen?

Literaturhinweise

  • Fritz Reheis 2010: Bildung contra Turboschule! Ein Plädoyer. Freiburg: Herder
  • Fritz  Reheis 2006: Entschleunigung. Abschied vom Turbokapitalismus. München: Goldmann
  • Lothar J. Seiwert 2001: Wenn Du es eilig hast, gehe langsam. Das neue Zeitmanagement in einer beschleunigten Welt. Sieben Schritte zur Zeitsouveränität und Effektivität. Frankfurt: Campus