Wichern ist eine zentrale Gestalt für die Kirchengeschichte des 19.Jh – Gestalter einer Gesellschaftsreform aus christlicher Verantwortung. Darüber hinaus zeigt sein Leben eindrücklich das Erleben von Selbsttranszendenz (in Anlehnung an Hans Joas).

Johann Hinrich Wichern (1808-81) stammt aus Hamburg, er lebt in einfachen Verhältnissen auf. Durch den sozialen Aufstieg des Vaters kann der begabte Wichern ein Gymnasium besuchen. Aber als der Vater früh stirbt, muss Wichern als Ältester die Mutter bei der Versorgung der sechs Geschwister unterstützen. Nachdem er sich bekehrt hat, ermöglichen ihm Stipendien ein Theologiestudium. Danach arbeitet er als Lehrer, und zwar in einer Sonntagsschule. Dort werden Kinder der Unterschicht, die keine Schule besuchen, von Ehrenamtlichen unterrichtet, Wichern leitet diese Aushilfslehrer an.

Später gründet er mit Hamburger Bürgern ein „Rettungshaus“, das als „Rauhes Haus“ in die Geschichte eingeht. Nach seiner Lehrertätigkeit wechselt Wichern in das sozialpädagogische Arbeitsfeld und eröffnet eine Jugendhilfeeinrichtung. Neben dem Rettungshaus gründet Wichern eine Diakonengemeinschaft, die als Erzieher mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten und bei ihnen leben. Wichern sieht von Anfang an die Notwendigkeit der Ausbildung geeigneter Mitarbeiter, seine Vision geht weit über das Rauhe Haus hinaus. 

Außerdem gibt Wichern seit 1844 die „Fliegenden Blätter“ heraus, in denen er für den Gedanken einer groß angelegten Inneren Mission in Deutschland wirbt, es geht ihm um eine Verbindung von Evangelisation und Diakonie, von Anfang an sind bei ihm Evangelisation (Volksmission) und soziales Engagement verbunden. Auf dem Wittenberger Kirchentag kann Wichern 1848 eine Rede aus dem Stegreif halten, die er in einer Denkschrift zur Inneren Mission (1849) ausformuliert. Darin kritisiert er im Rahmen eines kirchengeschichtlichen Überblicks, dass mit der Konstantinischen Wende die äußere Mission nicht zur inneren Mission geworden ist. Für ihn geht es im Reich Gottes nicht nur um die Rettung einzelner, sondern um die Transformation ganzer Völker mit ihren öffentlichen und privaten, gesellschaftlichen und kirchlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Strukturen.