Akteur: Philipp Jakob Spener

Spener

Spener stammt aus dem lutherischen Straßburg im Elsass, wo der Vater als Jurist für höchste Kreise arbeitet. 1651-1659 studiert er Theologie und Geschichte in Straßburg, danach unternimmt er verschiedene Reisen. 1664 Promotion und Heirat.

1666 wird er als (mit 31 Jahren) als Senior der lutherischen Pfarrer nach Frankfurt am Main berufen, bis 1686 ist er Pfarrer an der „Barfüßerkirche“, der heutigen berühmten Paulskirche (Parlament von 1848). Frankfurt ist damals keine rein lutherische Stadt, es gibt sowohl reformierte wie katholische Christen und auch eine staatliche jüdische Gemeinde.

Typisch für Speners Charakter wird von vielen als „konfliktscheu“ gezeichnet, er geht Kontroversen aus dem Weg und polarisiert nicht.

Durch die „Pia desideria“ wird Spener so berühmt, dass er 1686-1691 Oberhofprediger in Dresden wird, der einflussreichsten Predigerstelle seiner Zeit.

1691-1705 Lutherischer Propst an St. Nikolai in Berlin, wo er am 5.2.1705 stirbt.

Typische Handlungsmuster

Spener nimmt die religiöse Zerstrittenheit in religiösen Fragen einerseits und die zunehmende Distanzierung von konfessionellen Fragen andererseits wahr. Er sammelt die Frommen und setzt auf die innere Erbauung der Menschen.

Zunächst setzt sich Spener zwei Jahre nach seinem Dienstantritt beim Magistrat für das Einhalten der Sonntagsruhe ein. Vergnügungen wie Würfelspiel oder Theater während der Gottesdienste prangert er an. Er wirbt unter den führenden Leuten Frankfurts um deren Unterstützung. Die lutherischen Christen sollen so ihr Christsein anderen gegenüber bezeugen.

In einer Predigt wirbt er für einen lebendigen Glauben im Herzen und lehnt äußerliches Bekennen wie Gottesdienstbesuch und Teilnahme am Abendmahl ab. In einer anderen Predigt spricht er sich 1674 gegen das Bettlerunwesen in Frankfurt aus und fordert soziales Engagement ein. Durch eine große Spende kann ein Armenhaus eingerichtet werden, in dem Arme für ihren Unterhalt arbeiten können.

1670 beginnt Spener mit freiwilligen Versammlungen im Pfarrhaus („collegium pietatis – fromme Versammlungen), dort werden zunächst Erbauungsschriften gelesen. Später tauscht man sich mit der Bibel aus. Angesichts des großen Zulaufs werden die Versammlungen 1682 in die Kirche verlegt. Dazu veranstaltet er theologische Kurse für Handwerker und Dienstboten. Außerdem bietet er Kinderstunden an. In gewisser Weise unterstützt er auf diese Weise die Aufklärung und Bildung seiner Zeit. Immer wieder spricht sich Spener mit seinen Kollegen ab und holt sich auch brieflich Rat von anderen.

Modern ist sein Vorgehen, da er nun die Frommen sammelt – dabei beruft er sich auf Luthers „dritte Weise“ des Gottesdienstes. In der Kirche baut er so ein „Kirchlein“.

1675 veröffentlicht er seine programmatische Schrift „Pa desideria – fromme Wünsche“ als Vorwort zu einer Schrift des Erbauungs-Schriftstellers Johann Arndt. Zuvor tauscht er sich dreimal mit seinen Pfarrkollegen über den Inhalt aus.

Anfang der 1680er Jahre separieren sich die Saalhof-Pietisten von den lutherischen Gottesdiensten, Spener wendet sich deutlich gegen sie und diese Separatisten werden aus Frankfurt ausgewiesen; teilweise gehen sie in die neue Welt.

Vision: Speners Reformprogramm

Pia desideria (1675): Nachdem er die kirchliche Krise seiner Zeit beschrieben hat, macht er folgende „Vorschläge der Besserung“, denn er hat „Hoffnung auf bessere Zeiten

  1. das Wort Gottes reichlicher unter uns zu bringen. Wir wissen, dass wir von Natur aus nichts Gutes an uns haben, soll etwas an uns sein, so muss es von Gott in uns gewirkt werden. Dazu ist das Wort das kräftige Mittel, denn der Glaube muss aus dem Evangelium entzündet werden. […] Dazu sollen Bibeltexte im Gottesdienst vorgelesen werden, die Menschen sollen zur privaten Lektüre angetrieben werden. Außerdem solle es Versammlungen im Stil von 1. Kor 14 geben.

  2. Aufrichtung und fleißige Übung des geistlichen Priestertums […] dass allen Christen ohne Unterschied alle geistlichen Ämter zustehen.

  3. Das Christentum besteht nicht im Wissen, sondern in der Tat. Nächstenliebe solle nach Christi Vorbild geübt werden.

  4. Wie wir uns in Religionsstreitigkeiten zu verhalten haben. Gebet für die Irrenden, gutes Vorbild, Liebe erweisen und nicht auf Streitgespräche setzen.

  5. Reform des Theologiestudiums. Die künftigen Pastoren müsste man auch erziehen. Die Professoren können mit ihrem Vorbild selbst viel dazu tun […], wenn sie sich als Leute erweisendie der Welt abgestorben sind und nicht ihre eigene Ehre, Gewinn oder Wohlbehagen, sondern in allem auf Gottes Ehre und der Anvertrauten Heil suchten. Theologie sei ein habitus practicus: Theologie bestehe aus des Herzens Affekt [Bewegung] und in der Übung.[…] Diskussionen sollten auf Deutsch gehalten werden, die Studenten sollten von Mentoren begleitet werden. Außerdem sollen collegia pietatis angeboten werden.

  6. Ausrichtung der Predigt auf das Missionarisch-Seelsorgerliche anstelle theologisch-gelehrten Prunkes. […] Predigten sollen den Glauben stärken, daher erbaulich gehalten und auf den inneren Menschen ausgerichtet werden. (Spener: Pia desideria. Hrsg. Von E. Beyreuther)

Sammlung der Kernchristen als „ecclesiola in ecclesia“ [Kirchlein in der Kirche]

Es wäre mein einfältiger Vorschlag, diejenigen in einer Gemeinde, die sich vor andern etwa sonderlich ihr Christentum angelegen sein lassen, zu fördern. Sollten auch derselben nur drei, vier, fünf, sechs sein, Mann oder Frau, so ist‘s ein vortrefflicher Anfang eines großen Wachstums. Da suche der Geistliche mit jedem derselben sonderlich bekannt zu werden, wozu Gott allerlei Gelegenheit an die Hand gibt. Dann gehe er denselben mit Rat und Hilfe an die Hand, dass sie anfangen, das Neue Testament fleißig zu lesen. Kann auch zuwege gebracht werden, dass zuweilen einer zu dem andern kommt, sich miteinander zu erbauen, so ist die Sache für fast gewonnen zu halten. Würde auf diese Weise ein größerer Teil der Gemeinde gewonnen, mit welchem Nachdruck könnte man dann die Gewinnung der übrigen in Angriff nehmen. Ein jeder soll an seinem Ort eine ecclesiola in ecclesia sammeln, aber ohne Trennung, und diese so in den Stand bringen, dass man rechte Kernchristen an ihnen habe. Mit ihrem Beispiel werden sie ein trefflicher Sauerteig sein, den übrigen Teig auch in eine Gärung zu bringen. (Spener ‚Theologische Bedenken)

Würdigung und Folgen

Zwischen Reformation und Pietismus steht Johann Arndt, Reformator des christlichen Lebens. Seiner Zeit voraus durchsucht er das christliche Erbauungsschrifttum seit dem Mittelalter. Er will Antworten auf die Frage nach dem lebendigen Glauben geben und lehrt wahres, tätiges Christentum. Damit begleitet und fördert er die Individualisierung und Verinnerlichung.

Neben der individuellen Entwicklung möchte Spener das gemeinsame Leben der Gemeinde verändern – und von hier her die Gesellschaft. In Frankfurt wird er Wegbereiter eines Gemeindebau-Programms. Neben den Gottesdiensten werden Gesprächsgruppen (zunächst als Literaturzirkel, dann als Bibelstunden) angeboten.

Mit seiner Programmschrift „Pia desideria“ (Fromme Wünsche) entwickelt er sein Kirchenreformprogramm aus seiner „Hoffnung auf bessere Zeiten“ heraus. Ging es Luther um eine Reformation der Lehre, so geht es Spener und den Erweckten um eine Reformation des Lebens. Vieles erinnert an Calvin, so etwa sein Verständnis, dass durch die Bibellektüre eine innere Veränderung ausgelöst wird. Mitten in der Aufklärung (Vernunftgebrauch, Bildung, Reform) setzt sich Spener für eine religiöse Bildung ein, vertraut auf die Veränderung der Einzelnen und erwartet von da eine Transformation der Gesellschaft. Dabei legt er durch seine Wertschätzung des allgemeinen Priestertums auch auf Partizipation wert.