Was ist eigentlich die Ukraine? Ukraine bedeutet Grenzland. Es bezeichnete die Trennlinie zwischen sesshaften und nomadischen Menschen. Die Lage am Steppenrand gehört zu den Herausforderungen der ukrainischen Geschichte: Die Menschen erleben Übergriffe angrenzender Reitervölker, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Das geschieht aber nicht nur militärisch, sondern auch kulturell. Die Ukrainer vermitteln zwischen Sesshaften und Nomaden. Die Dnjepr-Kosaken stößt seit dem 16. Jh in die Steppe vor. Im 18. Jh besiedeln ukrainische, russische und deutsche Bauern allmählich die Steppe.

Neben der Steppe bildet heute das Schwarze Meer die andere Grenze der Ukraine, im Westen erheben sich die Karpaten, wobei auch jenseits dieses Bergmassivs Ukrainer leben. Zu Weißrussland wird das Land durch das Sumpfgebiet des Pryp’jat begrenzt. 

Das Land weist sehr fruchtbare Böden auf („Schwarzerde“!), die zusammen mit einem günstigen Klima das Land zur Kornkammer der Welt machen. Dazu gibt es die Steinkohle im Donez-Becken (Ostukraine!) und Eisenerzvorkommen – beides wichtige Grundlagen für die Industrialisierung.

Die Nachbarvölker der Ukrainer sind im Westen Polen und Ungarn, im Osten Russen. Sie haben immer wieder über die Ukrainer geherrscht, weil sie die Eigenständigkeit der Ukrainer geleugnet haben und ihr Land als Grenzland ihres Territoriums (Ukraine!) betrachtet haben. Auch für diese Nachbarvölker hat die Ukraine eine Vermittlerrolle, denn die Ukraine liegt zwischen den Handelsrouten zwischen der Ostsee und de m Schwarzen Meer, dem Orient und dem Abendland. Im Süden herrschten lange Zeit die Chasaren, später die Krimtataren.

Die Geschichte muss man noch einmal gesondert betrachten. Spannend ist das Mittelalter insofern, als das Reich von Kiew als Beginn der russischen Geschichte betrachtet wird, jedoch geografisch sich weithin mit dem Gebiet der Ukraine deckt: Nordische Waräger, Weissrussen, Russen und Ukrainer gehören zu diesem Reich, das später durch innere Auseinandersetzung an Kraft verliert und unter der Mongolenherrschaft weithin verschwindet. Dann entsteht um Moskau das neue Russland, das allerdings an der Geschichte des Kiewer Reiches anknüpft.

Eine regelrechte ukrainische Nationalbewegung lässt sich seit dem 19. Jh beobachten, aber es gibt auch schon früher Anzeichen für die ukrainische Nation. Immer wieder versuchen die Nachbarvölker, die Existenz der Ukrainer durch Unterdrückung ihrer Sprache zu leugnen. Die einen sehen im Ukrainischen einen polnischen, die anderen einen russischen Dialekt. Heutige Sprachforscher gehen jedoch von einer eigenständigen Sprache aus. Auch das verdient eine gesonderte Betrachtung. Die Nähe von Sprachen (siehe Serben und Kroaten) sagt aber nichts über ihre Nationalität aus.

Literatur

Andreas Kappeler 2022: Kleine Geschichte der Ukraine. 6. Auflage. München C H Beck