In Hessen haben wir gerade Schulferien. Für viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stellen die Zeugnisse Jahr für Jahr einen Meilenstein im Leben dar. Was sagen sie eigentlich aus? Da teilen sich die Meinungen. Natürlich lernen Schülerinnen und Schüler eine ganze Reihe von wichtigen Grundfertigkeiten – Lesen, Schreiben, Rechnen. Außerdem lernen sie einiges über den Alltag kennen.

Viele Inhalte – so lautet mein Fazit – habe ich in meinem Leben nicht gebraucht, manches viel mehr, als ich als Kind geahnt habe. Vieles ging an meinen Begabungen vorbei, so lernt man schließlich Disziplin und Anpassung. Vieles lernt man außerhalb der Schule, in Auseinandersetzung mit Freunden, in der Arbeitswelt, im Umfeld des Lebensraumes. Vieles kann man unter dem Begriff „Bildung“ zusammenfassen.

So weit verbreitet der Begriff „Bildung“ heute ist, so schillernd erscheint sein Inhalt im pädagogischen Diskurs. Mir hat einmal die Übersicht von Ricken (2007) geholfen.

Bildung erwerben?

Im Alltag erscheint Bildung oft als etwas, was man erwerben oder lernen kann. Zum „Erwerben“ gehört die entsprechende Bibliothek, zum Lernen vor allem Wissen. Dieses Denken findet man dann bei Dietrich Schwanitz’ Bestseller „Bildung. Alles was man wissen muss“ (1999).

Tatsächlich kann jemand aber viel wissen und völlig ungebildet sein. Im Leben kommt es nämlich nicht auf das auswendig Gelernte an, sondern auf die Fähigkeit, dieses Wissen anzuwenden und zu gebrauchen.

Bildung in der Schule?

Manche verstehen unter Bildung auch  das Wissen, das man in der Schule lernen kann und das man durch Bildungsabschlüsse (Zeugnisse, Diplome, Titel) bestätigt bekommt. Aber was sagen Titel und Zeugnisse aus? Und das Lernen ist ja weder mit der mittleren Reife noch mit dem Abitur vorbei!

Natürlich kann es in der Schule fruchtbare Momente geben, die Horizonte öffnen, Lehrerinnen die motivieren und Neugier wecken, Lehrer die Begleiter ins Leben sind, die Haltung vermitteln und Vorbilder werden.

Heute sollten wir lieber den ganzen Lebenslauf als Bildungsprozess in den Blick nehmen. Bildung zielt auf Lebensbegleitung, die zu einem erfüllten und wachen Leben führt.Bildung ist nicht auf die Schulzeit begrenzt. Sie geht unerbittlich weiter bis ans Lebensende.

Bildung als Reflexionsfähigkeit?

Bildung meint eine Kultur der Reflexionsfähigkeit, die über das reine Wissen hinausgeht und sich nicht in Kompetenzen erschöpft. Bildung meint den „relationalen Prozess der Selbsthervorbringung durch Weltauseinandersetzung und -veränderung“ (Ricken 2009, S. 22).

Der Mensch lernt aus den Herausforderungen des Lebens, ist Teil eines umfassenden Systems, in dem er seinen Platz finden und gestalten muss. Die pädagogischen Klassiker wollten alle menschlichen Kräfte entfaltet wissen (Humboldt) bzw. Kopf, Herz und Hand bilden (Pestalozzi). Aufpassen muss man, dass man nicht in der Reflexion und Kritik bleibt, sondern noch zum Handeln kommt.

Bildung als Menschwerdung!

Schließlich geht es um „Selbstransformation durch Weltauseinandersetzung“ (Ricken): Ständig nimmt man Neues auf und lernt sein Leben lang. Der Lernende lernt nicht nur etwas über die Welt und die anderen, sondern zugleich lernt er immer auch etwas über sich selbst.

Individualität und Gemeinschaftlichkeit sind dabei eine wichtige polare Zuordnung im pädagogischen Prozess. Dadurch sollte die Selbstransformation gefördert werden, das geschieht durch all die praktischen Erfahrungen des Lebens. Wir bewundern Menschen wegen ihrer Stärken, lieben sie aber wegen ihrer Schwächen.

Hier kommt der Ursprung des Bildungsbegriffes zum Tragen, die Erschaffung nach dem Bild Gottes, in das die Menschen hineinverwandelt werden sollen. Sie sollen als Gegenüber zu Gott und den Mitmenschen leben. Zugleich ist ihnen die Schöpfung als Umwelt anvertraut, sie sollen sie wie einst den Garten Eden „bebauen und bewahren“.

Bildung als Selbstverwirklichung!

„Selbstverwirklichung“ ist heute ein zentrales Schlagwort, man kann sie pädagogisch als „Selbstbildung“ oder als „Prozess der Selbstformung“ (Taylor) beschreiben. Weitere Schlagworte sind Freiheit, Mündigkeit, Emanzipation, Autonomie oder Selbstbestimmung.

Der Mensch ist bildsam und er ist nicht festgelegt, sondern kann sich in ganz unterschiedlichen Dimensionen ausbilden, im Bildungsprozess bringt sich der einzelne hervor. Bildung wird also mit der Zunahme von Freiheitsrechten verbunden, die der einzelne hat und die der Lehrer oder Mentor beachten und respektieren muss. 

Am Ende entsteht die unverwechselbare Persönlichkeit, die sich der Begleitung anderer verdankt und sich für andere einsetzt.

Bildung als achtsame Haltung!

Zur Bildung gehört schließlich die Achtsamkeit gegenüber anderen. Von jeher zielt Bildung auf Humanität und Menschlichkeit, beides schränkt die Selbstbestimmung ein oder richtet sie auf den anderen aus.

Bildung soll für alle ermöglicht werden, deshalb antwortet die Pädagogik gleichsam selber auf diese Herausforderung und bemüht sich, den reinen Egoismus zu überwinden und andere zu respektieren. 

Fazit

Bildung kann man nicht erwerben, sie geschieht oft genug nicht in der Schule. Zu ihr gehört Reflexionsfähigkeit, aber sie erschöpft sich nicht in Kritik und Selbstkritik, sondern sie zielt auf Handeln. Durch Bildung soll der Mensch zum Menschen werden: Er lernt in der Auseinandersetzung mit der Welt und den anderen auch etwas über sich selbst. Als Glaubender tritt er in Beziehung zum Schöpfer und erfährt sich als Geschöpf. Gegenüber anderen Menschen und der übrigen Schöpfung, aber auch gegenüber seinem Schöpfer findet er zu einer achtsamen Haltung. Diese Achtsamkeit ist nicht passiv, sondern aktiv gemeint.