Endlich Urlaub – und endlich Zeit zum Lesen. Das tut gut. Auf meiner Leseliste steht Verschiedenes. Ganz neu und von meiner Buchhändlerin empfohlen: Thomas Christos. 1965. Der erste Fall für Thomas Engel. Der Kriminalroman ist bei blanvalet 2021 erschienen – und er hat mich gut unterhalten!

Im Netz findet man einige sehr gute Kritiken. Die kann ich empfehlen. Der Krimi spielt 1965 und in der Vorkriegszeit. Das fand ich als Lektüre um den 20. Juli herum lesenswert. Der Protagonist Thomas Engel wächst in der biederen Nachkriegszeit heran, sein Vater ist Polizist, die Familie erscheint typisch für das „bürgerliche Milieu“ jener Zeit mit einem dominanten Vater und einer noch angepassten Jugend.

Der Hintergrund

Thomas Engel geht als Abiturient zur Kripo, eine eher ungewöhnliche Berufswahl damals, als Polizisten noch eine Ausbildung machen. Der Freund des Vaters, sie waren Kameraden im Krieg, nimmt den angehenden Kriminalbeamten unter seine Fittiche.

Interessant fand ich die Mischung aus Krimi im Jahr 1965 mit Rückblenden auf die NS-Zeit. Die handelnden Polizisten haben alle die Nazizeit erlebt, machten ihre Kompromisse, verstrickten sich in Schuld. Welche persönlichen Abgründe sich für die einzelnen auftaten, wird leider nicht ausgeführt. Es ist ja auch ein Unterhaltungskrimi!

1965 haben die Beteiligten alles vertuscht und verdrängt. Dass nicht einmal die Ehefrau viel weiß, gehört zu den Erzählungen dieser Zeit. Dadurch wird es nicht glaubwürdiger. (Immerhin fanden ab 1963 die Frankfurter Auschwitzprozesse statt, durch die die Verbrechen in die Öffentlichkeit kamen. Waren das keine Gesprächsanlässe für Ehepartner damals?)

Ob aktive Polizisten 1965 tatsächlich so gehandelt haben, wie es der Autor uns beschreibt, glaube ich nicht. Dass sie bewusst falschen Spuren folgen, mag angehen, dass sie einen Zeugen ermorden, scheint mir nicht glaubhaft. Aber sehen wir davon ab. Diese Ungereimtheit fand ich auf ihre Weise aber auch unterhaltsam.

Interessant auch das Aufblitzen der „Gastarbeiter“-Kultur in jener Zeit, die Überheblichkeit und Arroganz der Deutschen, das Leben in kirchlichen Fürsorgeheimen mit einem pädophilen Pfarrer in der Leitung und Nonnen, die wegsehen, mag heute einer anderen Vergangenheitsbewältigung dienen. Vielen Heimen und ihren Angestellten wird man so aber nicht gerecht.

Der Plot

1939 wird ein Mädchen Opfer eines Sexualdelikts, dessen Aufklärung im Durcheinander von „funktionierender“ Kripo und der kriminellen Energie der Gestapo geschieht. Schnell wird ein Täter präsentiert, dessen Profil überhaupt nicht passt. Der wahre Täter, Sohn einer Nazi-Größe, bleibt unbehelligt. Der ermittelnde Polizist plant zunächst selbst die Bestrafung des Täters, als dies beim ersten Mal nicht gelingt, gibt er das auf. (Wieder bleiben uns seine Überlegungen erspart.) Im Krieg wird er selbst in NS-Verbrechen verstrickt, wird erpressbar und schweigt auch nach dem Krieg.

1965 wird erneut ein Mädchen ermordet, alle Anzeichen deuten auf das einstige Verbrechen hin, auf das der neue Kommissar zufällig bei einer „Strafarbeit“ im Archiv stößt. Aber die Ermittler vertuschen den Fall, was den Neuen in Konflikt mit ihnen bringt und seine Karriere (vorerst) beendet. Als Privatperson ermittelt er aber weiter, das scheint er sich und seiner Vorstellung von Gerechtigkeit schuldig. Über seine Gedanken und Gefühle bleiben wir im Unklaren. Während dieser im Grunde genommen privaten Ermittlungen kommt dabei er der Geschichte seines Vater und dessen Freund auf die Spur.

So wie Thomas Engel mag es in den 1960ern vielen gegangen sein, als sie in die Abgründe ihrer Väter und Mütter schauten. Ein Volk von Tätern blitzt auf, das den braunen Terror mitmachte, bis zuletzt funktionierte und anschließend vergessen wollte. Aber das Verdrängte holt sie ein.

Der Protagonist erlebt und lebt seine Befreiung von der Erwachsenenwelt, wohnt zunächst in einer typischen Wohnsituation damals mit einer neugierigen Vermieterin. Während eines Einsatzes lernt er aber Neues kennen, die Musik der Rolling Stones, das Milieu alternativer Bars und natürlich die Liebe. So löst er sich aus dem Milieu der Eltern und lebt den beginnenden Wandel, der bald die ganze Welt verändert. Er will ohne all die faulen Kompromisse leben und nicht wegschauen. Als sein Vorgesetzter und Kollegen den überführten und geständigen Sittlichkeitsverbrecher zu Tode kommen lassen, bleibt Engels Reaktion am Ende offen.

Fazit

Man kann noch vieles sagen. Ich habe mich gut unterhalten, ein Krimi in der Zeit, die ich noch selber als Jugendlicher erlebt habe. Manches hat mich eher amüsiert, manches hat tatsächlich Fragen aufgeworfen. Ich habe meine Lesezeit nicht bereut. Wir lesen einen im Grunde spannenden Krimi, von einem Drehbuchautor in Szene gesetzt, ohne viele Längen.